Die Ausbreitung des Dschihadismus weltweit und in Europa war Thema der Veranstaltungsreihe AM PULS des Wissenschaftsfonds FWF am 31. März 2016.

Dir. Mag. Peter Gridling und Prof. Rüdiger Lohlker - Für redaktionelle Zwecke bei Nennung der Quelle kostenfrei / Use of these photos for editorial purposes is free of charge, subject to attribution. © FWF / Michèle Pauty

Der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker und der Chef des Verfassungsschutzes, Peter Gridling, diskutierten gemeinsam mit dem Publikum über Prävention, Deradikalisierung und die Stärkung der Zivilgesellschaft im Kampf gegen den Terror.

In den vergangenen zwei Jahren wurden europaweit 180 Menschen bei Terroranschlägen getötet, 700 Personen wurden verletzt. Das ist die traurige Bilanz, „die uns vor Augen führt, dass wir jederzeit Opfer von Terrorismus werden können“, erklärt Peter Gridling, Direktor des Österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bei AM PULS im Theater Akzent in Wien. Die Sicherheitsbehörden würden diese Bedrohungen sehr ernst nehmen und auch Politik und Gesellschaft müssen darauf reagieren, sagt Gridling. Im Fokus des Verfassungsschutzes ist dementsprechend, welche Personen vor Ort Netzwerke pflegen, radikalisieren und vor allem junge Österreicherinnen und Österreicher für den Dschihad anwerben.

Dschihad zieht Österreicher/innen an

267 junge und sehr junge Menschen sind laut Gridling aktuell von Österreich in den Irak oder nach Syrien gegangen, um im Namen des Islamischen Staates (IS) zu kämpfen. „Österreich spielt hier eine wesentliche Rolle, auch in Hinblick darauf, was in den Sozialen Medien passiert“, betont Gridling. Die Frage müsse daher lauten, was die jungen Menschen motiviere und was wir als Gesellschaft tun können? Neben repressiven Maßnahmen wie etwa der strafrechtlichen Verfolgung von Rückkehrern betont Gridling die Notwendigkeit, in Prävention, in den Dialog mit Risikogruppen und in die Förderung von Institutionen zu investieren. „Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft ist auch uns ein wichtiges Anliegen“, betont der Staatsschutzdirektor gegenüber den mehr als 400 Besucherinnen und Besuchern der Veranstaltung des FWF.

Maßnahmen gegen Extremismus

Erste Maßnahmen zur Deradikalisierung hat Österreich inzwischen umgesetzt: Etwa die Einrichtung der „Beratungsstelle Extremismus“, die im Bundesministerium für Familien und Jugend angesiedelt ist. In der Initiative DERAD engagieren sich Personen aus der Praxis, um sozialen Zusammenhalt und Dialog, zum Beispiel mit Inhaftierten, zu fördern. RAN Austria (Radicalisation Awareness Network), ein weiteres Netzwerk, das im Vorjahr gegründet wurde, vernetzt Institutionen und Behörden, ihre Mitglieder tauschen Best-Practices aus. Hier wird auch mit Wissenschaftern wie dem Islamexperten Rüdiger Lohlker von der Universität Wien  zusammengearbeitet.

Virtuelle Führung

Lohlker beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Islam mit Fokus auf das Internet. Er verfolgt die transnationalen Strömungen, die sich seit den 1980er-Jahren entwickeln wie al-Qa’ida, Boko Haram oder der Islamische Staat. „Der Dschihadismus ist mehr als nur der IS, das auszublenden ist fatal“, warnt Lohlker. Allerdings, so der Wissenschafter, sei der IS die Organisation mit der effektivsten Propagandamaschine, die unmittelbar auf Ereignisse reagiere. „Ihre Propaganda ist sehr widerstandsfähig“, so Lohlker. Das Internet ist die ideale Plattform dafür und wird strategisch genützt. Auch die Religion spielt eine wichtige Rolle für dschihadistische Gruppen. „Zwar weniger im Radikalisierungsprozess als in der religiösen Legitimation der Akteure“, so der Experte der Uni Wien. Dass vor allem Aktivitäten, die aus der Zivilgesellschaft kommen, gefördert werden müssen, davon ist Lohlker überzeugt. Es brauche Multiplikatoren, die sowohl eine solide Kenntnis der Religion haben, als auch versiert sind im Umgang mit dem Internet. Dass den Dschihadisten in den Medien mit Fotos, Namen oder Videos Raum gegeben wird, lehnt Lohlker übrigens strikt ab.

Im Dialog mit der Öffentlichkeit

Die Veranstaltungsreihe AM PULS ist eine Initiative des Wissenschaftsfonds FWF in Kooperation mit der Wiener Agentur für Wissenschaftskommunikation, PR&D - Public Relations für Forschung & Bildung. Das Wissenschaftsformat lädt seit 2007 die interessierte Bevölkerung zum Dialog mit der Wissenschaft. Renommierte Forscherinnen und Forscher berichten bei AM PULS aus ihrem Arbeitsalltag, über neue Methoden und Erkenntnisse und vermitteln dabei die Bedeutung der Wissenschaft für die Gesellschaft. Die Themen der Reihe spiegeln die Vielfalt der vom FWF geförderten Projekte aus der Grundlagenforschung wider und reichen von der Kometenlandung über die Bewusstseinsforschung bis zu Menschenrechte und Umweltgeschichte.

Terminvorschau

Die nächste AM-PULS-Veranstaltung zum Thema „Soziale Netzwerke – Zwischen Meinungsfreiheit und Datenklau“ findet am 6. Juni 2016 im Theater Akzent in Wien statt. Eintritt frei. Anmeldungen an schnell(at)prd.at

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