Suizid ist Mitten in der Gesellschaft und noch immer ein Tabuthema. Dabei hilft darüber reden am meisten. Das bestätigen wissenschaftliche Untersuchungen ebenso wie der Erfahrungen von Angehörigen. Darüber diskutierten Autorin Saskia Jungnikl und der Sozialmediziner Thomas Niederkrotenthaler mit 450 Gästen bei der Veranstaltungsreihe AM PULS des Wissenschaftsfonds FWF in Wien.

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Als die Österreichische Gesellschaft für Suizidprävention im Jahr 1987 Empfehlungen zur Berichterstattung über Suizid veröffentlichte, sank die Zahl der Selbsttötungen um 80 Prozent und blieb seither niedrig. Der Grund dafür war, dass die Medien so gut wie gar nicht mehr über das Thema berichteten. Wiener Wissenschafterinnen und Wissenschafter haben daraufhin den Zusammenhang von Berichterstattung und Suiziden in einer international publizierten Studie nachgewiesen. „Inzwischen gibt es mehr als 120 Studien, die belegen, dass Suizide nach mehr oder weniger sensationsträchtigen Medienberichten ansteigen“, erzählte Thomas Niederkrotenthaler bei der Veranstaltungsreihe AM PULS am 28. September 2016 in Wien.

Von der Nachahmung zur Prävention

Der Sozialmediziner der Medizinischen Universität Wien beschäftigt sich seit Langem mit der Rolle der Medien im Zusammenhang von Suizid. Heute weiß die Forschung, wie Niederkrotenthaler aus seinen Untersuchungen berichtete, dass es nicht mehr nur um Vermeidung von Berichterstattung geht, sondern dass Medienberichte, die das Thema sensibel aufgreifen und auch Alternativen aufzeigen, statt des „Werther“-Nachahmungseffekts sogar eine präventive Wirkung erzielen können. Die Forschung spricht dann vom „Papageno-Effekt“. Untersuchungen zeigten, dass Beiträge über Beinahe-Suizide, in denen auch persönlich Betroffene zu Wort kommen, einen Rückgang der Suizidrate von acht Prozent bewirken konnten.

Suizid und Social Media

Ebenso können die sozialen Netzwerke einen präventiven Beitrag leisten. In einem aktuellen Forschungsprojekt untersucht Niederkrotenthaler mit Unterstützung des FWF Suizid-Foren im Internet, denn bis dato sei wenig bekannt gewesen, was dort kommuniziert werde, so der Experte. Erste Ergebnisse zeigen, dass auch hier Erzählungen, wie man mit eigenen schwierigen Lebenssituationen umgeht, eine effektive Schutzwirkung entfalten können. Und noch einen Vorteil hat die Online-Kommunikation, da Menschen in Krisensituationen leichter auf sie zugreifen können. Denn Suizid hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einem städtischen Phänomen zu einem ländlichen entwickelt.

Trauerarbeit und Sprachlosigkeit

Insgesamt ist es allerdings nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu, über Suizid oder Selbsttötungsgedanken zu sprechen, wie Saskia Jungnikl bei AM PULS bestätigte. Die Autorin und Journalistin hat 2008 ihren Vater durch Suizid verloren. Ein Ereignis, das ihr „den Boden unter den Füßen wegzog“, wie Jungnikl es beschreibt. Sie habe sich mit dem Tod des Vaters alleine gelassen gefühlt, vor allem auch deshalb, weil über Suizid eine große Sprachlosigkeit herrsche, so ihr Befund. Den Weg ihre Trauer ein Stück weit zu bewältigen hat Jungnikl schließlich über das Schreiben gefunden. „Es war eine leise laute Befreiung.“ Aber auch das Reden mit Freunden und der Familie sei für sie enorm wichtig gewesen, betonte die Autorin bei der Veranstaltung im Theater Akzent. Ihr Buch „Papa hat sich erschossen“ ist 2014 im Fischer Verlag erschienen.

Im Dialog mit der Öffentlichkeit

Die Veranstaltungsreihe AM PULS ist eine Initiative des Wissenschaftsfonds FWF in Kooperation mit der Wiener Agentur für Wissenschaftskommunikation, PR&D – Public Relations für Forschung & Bildung. Das Wissenschaftsformat lädt seit 2007 die interessierte Bevölkerung zum Dialog mit der Wissenschaft. Renommierte Forscherinnen und Forscher berichten bei AM PULS aus ihrem Arbeitsalltag, über neue Methoden und Erkenntnisse und vermitteln dabei die Bedeutung der Wissenschaft für die Gesellschaft. Die Themen der Reihe spiegeln die Vielfalt der vom FWF geförderten Projekte aus der Grundlagenforschung wider und reichen von der Weltraumforschung über Krebstherapie bis zu Datenschutz und Archäologie.

Terminvorschau

Die nächste AM-PULS-Veranstaltung zum Thema „Exoplaneten – Die Suche nach bewohnbaren Planeten“ findet am 15. November 2016 im Theater Akzent in Wien statt. Der Eintritt ist frei. Anmeldungen an schnell(at)prd.at

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