Globalisierung findet Stadt - und Lateinamerika ist dabei

Die Stadtentwicklung in Lateinamerika befindet sich in einer spannenden Umbruchphase. Grund dafür ist die Globalisierung der Hauptstädte. Diese waren lange Jahre Zentren und Endpunkte der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, dienen heute aber zunehmend als "Tore zur Welt". Ein solcher bisher nur aus den USA und Europa bekannte Bedeutungswandel konnte nun erstmals im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts auch für Lateinamerika nachgewiesen werden.

Auch Lateinamerika ist von der wirtschaftlichen Globalisierung erfasst. Das belegt ein FWF-Projekt zur Stadtentwicklung von Santiago de Chile und Mexico City. © Für redaktionelle Zwecke bei Nennung des Copyrights kostenfrei: Foto von www.motherplanet.com zur Verfügung gestellt.

Seit einiger Zeit ändert sich die Rolle der Hauptstädte in den USA und in Europa. Früher dienten sie als Produktions- und Logistikzentren der heimischen Wirtschaft. Heute sind sie Knotenpunkte, die nationale Wirtschaftsräume mit dem globalen Markt verbinden. Dass diese Entwicklung in Lateinamerika ebenso stattfindet, konnte nun erstmals von Dr. Christof Parnreiter und seinen MitarbeiterInnen vom Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für die Hauptstadt von Chile (Santiago de Chile) und von Mexiko (Mexico City) nachgewiesen werden.


Geplante Dominanz

Beide Hauptstädte entwickelten seit ca. 1930 eine starke Dominanz innerhalb der eigenen Nation. Ziel dieser gesteuerten Entwicklung zur so genannten "Urban Primacy" war es, die Abhängigkeit von Importen zu vermindern. Hierfür wurden ländliche Regionen zu einem nationalen Wirtschaftsraum mit der Hauptstadt als Zentrum integriert. Die an diesen Integrationsprozess anschließenden Änderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Hauptstädte wurden nun im Rahmen des dreijährigen FWF-Projekts analysiert.

Parnreiter erklärt: "Dieser Integrationsprozess baute auf die Massenproduktion geringwertiger Güter durch traditionelle Industrien auf und lief größtenteils innerhalb der beiden Hauptstädte ab. Diese wurden so zum sozio-ökonomischen Zentrum ihrer jeweiligen Nation. Seit einiger Zeit wird deren Stadtentwicklung aber nicht mehr nur von ihrer Vormachtstellung geprägt. Vielmehr durchlaufen beide Städte derzeit einen Entwicklungsprozess, der ihre Rolle als Knotenpunkt mit der globalen Wirtschaft betont. Sie fungieren als Global Cities."

Wesentliche Bindeglieder für diese Funktion sind Service-orientierte Aktivitäten wie z. B. Finanzdienstleistungen. Deren Leistungsangebote sind weder an eine Stadt noch an eine Nation gebunden. Allein in Mexico City ist der Anteil dieses Wirtschaftsbereichs (gemeinsam mit Versicherungen und Immobilien) am städtischen Bruttosozialprodukt von 1980 bis 1998 um mehr als 50 % gestiegen. In Santiago de Chile machten Finanzdienstleistungen im Jahr 1997 bereits über 25 % des städtischen Bruttosozialprodukts aus.

Die Entwicklung zur Global City wird auch durch die Ansiedelung von Firmenzentralen großer Unternehmen demonstriert. Im Zuge seiner Arbeit stellte Parnreiter dabei eine interessante Korrelation fest. "Je stärker die Anbindung der Unternehmen an die globale Wirtschaft war, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass deren Firmenzentrale in der Hauptstadt lag. Damit unterstützen auch diese Unternehmen die Entwicklung zur Global City führt Parnreiter aus.


Fassetten der Globalisierung

Im Verlauf des Projekts stieß Parnreiter aber auch auf wesentliche Unterschiede der Entwicklung von Santiago de Chile und Mexico City. Denn während in Santiago de Chile die Entwicklung hin zur Global City parallel mit einer Stärkung der nationalen Vormachtstellung durch weitere Integration des nationalen Raums einhergeht, büßt Mexico City diese Urban Primacy zunehmend ein. Wesentliche Triebkraft ist dabei in Mexiko die Abwanderung der traditionellen Industrie in die USA-nahe Grenzregion." Die unterschiedliche Entwicklung beider Hauptstädte zeigt, dass die Globalisierung der Wirtschaft nicht unbedingt zu einer Vereinheitlichung der Stadtentwicklung führt", betont Parnreiter.

Parnreiter gelang es, mit diesem Projekt zwei allgemeine Vorstellungen zu widerlegen: dass die Globalisierung ohne Lateinamerika stattfindet und dass sie zur Vereinheitlichung der Stadtentwicklung führt. Die Unterstützung dieser Grundlagenforschung durch den FWF trug somit dazu bei, Meinungen, die als allgemein akzeptiert galten, durch eine wissenschaftliche Analyse der tatsächlichen Umstände zu korrigieren.


Wissenschaftlicher Kontakt
Dr. Christof Parnreiter
Institut für Stadt- und Regionalforschung
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Postgasse 7/4/2
A-1010 Wien
T: +43/ 1/ 515 81-3534
christof.parnreiter(at)oeaw.ac.at

Aussender
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Wien, 5. Juli 2004