Wissenschaftsdisziplinen
Andere Geisteswissenschaften (25%); Kunstwissenschaften (75%)
Keywords
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Sound Art,
Digital Media,
Digital Obsolescence
Der Großteil des heutigen Medienangebots, Audio wie Video, wird in digitaler Form produziert und gespeichert. Digitale Daten sind vom Mythos der verlustfreien Übertragung und Umwandlung umrankt, obwohl die tägliche Erfahrung beweist, dass Daten einem Verfallsprozess unterliegen, und sich letztendlich auf verschiedene Weise zersetzen. Dies betrifft die Physis von Speichermedien und Abspielgeräten wie auch Medienformate und Software im Kontext ihrer technologischen Infrastruktur. Das Projekt beschäftigt sich mit den Ursachen, Mechanismen und Effekten solcher Verfallserscheinungen, speziell im Kontext von digitalen Klängen. Da Degradation prinzipiell nicht verhindert werden kann, ist es unser wesentlichstes Anliegen, der künstlerischen Praxis verborgene Freiheitsgrade im Umgang mit der Allgegenwart des Verderbens zu offenbaren. Wie können derartige Phänomene innerhalb der Klangkunst verstanden, ausgelöst, reproduziert, gesteuert und genützt werden? Was sind die Mechanismen und Auswirkungen von Obsoleszenz in Hard- und Software? Wie kann man den Prozess des Verfalls in der digitalen Domäne modellieren und was sind seine Produkte und Überreste? Welches sind die Einflüsse der Umgebung und menschlicher Interaktion? Inwieweit sind künstlerische Werke Produkte ihrer Materialquellen oder ihrer Verfallserscheinungen? Zu Beginn des Projekts werden wir zunächst die Grundlagen und Mechanismen des Datenverfalls erforschen, und fünf thematische Workshops organisieren, um Ideen und Konzepte zu erarbeiten. Wir werden einen grundlegenden Baukasten für digitales Audio entwickeln, der uns als Basis für Experimente an Verfallserscheinungen jeglicher Art dient, betreffend Datenträger, elektronische Schaltkreise, algorithmischer Logik und Sprache, sowie in Bezug auf Ästhetik und Bedeutung in Form musikalischer Inhalte. Ausgewählte experimentelle Prototypen werden als künstlerische Werke ausgearbeitet und der Öffentlichkeit in Form von Performances und Installationen über lange Zeiträume oder in herausfordernden Umgebungen ausgesetzt. Schriftliche Publikationen und ein Symposium werden über die Konzepte, Ergebnisse und Nachwirkungen des Projekts reflektieren. Wir sehen unser Vorhaben als Leuchtturmprojekt, welches die Aufmerksamkeit gegenüber größtenteils unerforschten Eigenschaften von digitalem Klang als einer Hauptkomponente zeitgenössischer Kunst und weit verbreiteter Technologie verstärkt. Wir hoffen, das generelle Bewusstsein die Materialität, Fragilität und sozio-ökonomischer Kontextualität digitaler Daten betreffend zu heben, indem wir diese Themen in der breiteren künstlerischen und wissenschaftlichen Öffentlichkeit diskutieren und verbreiten. Unser Zugang ist im Grunde invers zu typischen technologischen oder wissenschaftlichen Methoden: Anstatt nach Wegen zur Überwindung eines allgemein so verstandenen Defekts zu suchen, schlagen wir vor diesen Defekt anzuerkennen und einfließen zu lassen, sodass sich sein potentieller Schaden zu einem Nutzen wandelt.
Der überwiegende Anteil heutiger Medien wird in digitaler Form produziert. Digitale Daten sind von einem Mythos der Perfektion umrankt, obwohl die Alltagserfahrung Evidenz für die Existenz von Degradation und letztendlich Datenverlust in verschiedener Weise liefert. Das mehrjährige künstlerische Forschungsprojekt Rotting Sounds untersuchte die Ursachen, Mechanismen und Auswirkungen solcher Verfallserscheinungen, speziell im Kontext von digitalen Audiodaten. Kooperationspartnerinnen waren die mdw Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, die Universität für angewandte Kunst Wien und die Akademie der bildenden Künste Wien, unter Beteiligung der Abteilungen Komposition, Elektroakustik und Tonmeisterausbildung (mdw, vertreten durch Thomas Grill), Kunst & Wissenschaft (Angewandte, Till Bovermann) und Konservierung und Restaurierung (Akademie, Almut Schilling). Im Rahmen des Projekts wurden künstlerische Arbeiten wie Kompositionen, Klanginstallationen, Performances, Skulpturen etc. als Versuchsanordnungen geschaffen, um spezifische konzeptionelle und ästhetische Merkmale von Degradationsprozessen zu identifizieren und so, durch gründliche Untersuchungen, neues Wissen im Bereich der experimentellen Musik und darüber hinaus zu generieren. Eines der Hauptthemen, mit denen wir uns eingehend beschäftigten, betreffen die Eigenschaften von Langzeit-Klanginstallationen als experimentelle Systeme. Es stellte sich heraus, dass die "Geschlossenheit" eines Systems im thermodynamischen Sinne durch die von uns verwendeten Prinzipien der Rekurrenz in Frage gestellt wird, wodurch "Lecks" oder andere Unzulänglichkeiten exponentiell verstärkt werden. Dies hat auch Fragen zur Instandhaltungspraxis von degradierenden Kunstwerken und zu Formen eines angemessenen "ökologischen" Denkens aufgeworfen. Ein wichtiges konzeptionelles und praktisches Thema war die Schnittstelle zwischen der digitalen und der analogen Domäne, wobei die "1-Bit-Audio"-Technologie genau an dieser Grenze liegt. Wir haben Software und Hardware entwickelt, um Installationen und Performance-Konzepte zu realisieren, die die spezifische Ästhetik dieses Übergangsbereichs aufgreifen. Die Kodierung und Dekodierung zwischen den Domänen war auch ein allgemeineres Thema mit verschiedenen Experimenten, die das vielfältige Terrain und die jeweiligen Auswirkungen der Degradierung aufzeichneten. Ein Ergebnis war die Komposition für Ensemble "rill", die beim Festival Wien Modern uraufgeführt wurde. Die Extrapolation solcher Effekte über lange Zeitspannen brachte uns zur Metapher der "tiefen Zeit" mit einem Fokus auf mediale Materialität und Fragen zu soziokulturellen Aspekten kodierter Information. Wir entwickelten drei interdisziplinäre Werkserien ("Voicings of an auralist", "Auditorium of Rotting Sounds Archive", "Fragments"), die jeweils mehrere künstlerische Perspektiven umsetzen. Unsere textbasierten Publikationen begannen wir mit einem Manifest, arbeiteten an technischen Aspekten, erfanden die Figur des "Auralisten" für ein Buchkapitel und ein Hörspiel, injizierten Fragmente in den Research Catalogue, beschrieben unsere experimentellen Ansätze und führten den Begriff der "digitalen Patina" ein, um die von uns beobachtete Ästhetik permanenter Transformation zu charakterisieren und eine neue Perspektive auf die Existenz des Digitalen in einem materiellen Kontext zu eröffnen.
- Almut Schilling, Akademie der bildenden Künste Wien , assoziierte:r Forschungspartner:in
- Till Bovermann, Universität für angewandte Kunst Wien , assoziierte:r Forschungspartner:in
- Erich Berger, Finnish Bioart Society - Finnland
- Alex Adriaansens, V2 - Niederlande
Research Output
- 6 Publikationen
- 24 Künstlerischer Output
- 2 Datasets & Models
- 2 Software
- 13 Disseminationen
- 3 Wissenschaftliche Auszeichnungen
- 1 Weitere Förderungen