Der Mathematiker Adrian Constantin erforscht den „Unterwasser-Motor“ des Klimaphänomens El Niño, das in manchen Regionen verheerende Dürren, in anderen Starkniederschläge und Überschwemmungen auslöst. Seine komplexen Modelle erlauben bessere Vorhersagen von Naturkatastrophen.

Am 28. November 1520 erreicht Ferdinand Magellan nach schweren Unwettern die offene See. Die Flotte ist dezimiert, die Mannschaft ausgehungert, aber das Wetter prächtig.
Magellan hat gerade die nach ihm benannte Magellan-Straße an der Spitze Südamerikas durchquert. Dankbar tauft er den friedvollen Ozean vor ihm „Mare Pacifico“, auch Pazifik oder Stiller Ozean genannt. Magellans Ziel war es, eine Westroute zu den Molukken-Inseln zu finden, um kostbare Gewürze für die spanische Krone zu sichern. Doch statt die Gewürzinseln direkt anzusegeln, landete er erstaunlicherweise fast 2500 Kilometer weiter nördlich auf der Insel Guam.

Hier beginnen die Fragen: Warum war das Wetter beim Erreichen des Pazifik so mild, eine Gegend die für ihr extremes Wetter legendär ist? Warum riskierte ein erfahrener Kapitän eine längere Route, obwohl die Mannschaft schwer krank war? Und warum verfehlte er die Tausenden Inseln im Pazifik, die ihm Proviant geboten hätten?

Neuere Forschungen kommen zu dem Schluss, dass die Antworten auf diese Fragen miteinander verknüpft sind: Das Spanische Christkind „El Niño“ könnte schuld gewesen sein. Dieses Wetterphänomen (El Niño / Southern Oscillation; ENSO) tritt schließlich gern zur Weihnachtszeit vor der südamerikanischen Pazifikküste auf. Magellans Reise ist vermutlich der erste historische Beleg dafür.

In aller Kürze

In der Atmosphäre und den Ozeanen laufen zahlreiche großformatige Bewegungen ab, die sich als Strömungen oder Wellen beschreiben lassen. Bisherige Modellierungen sind allerdings stark vereinfachend und lassen viele geophysisch relevante Aspekte unberücksichtigt. Adrian Constantin schließt diese Lücken und erforscht detaillierte mathematische Beschreibungen der physikalischen Vorgänge.

Mathematiker Adrian Constantin an der Universität Wien
Der Mathematiker Adrian Constantin ist FWF-Wittgenstein-Preisträger 2020. Den höchstdotierten Wissenschaftspreis hat er für seine bahnbrechenden Beiträge zur Mathematik der Wellenausbreitung erhalten. © FWF/Daniel Novotny
Welle bricht
Adrian Constantins Forschung zeigt, wie wichtig Grundlagenforschung ist: Um auf das „spanische Christkind“ reagieren zu können, braucht es präzise theoretische Modelle. © Unsplash/TimMarshall

El Niño ist eine Klimaanomalie, die in unregelmäßigen Abständen von etwa zwei bis sieben Jahren vor allem im Pazifik zwischen Südamerika und Indonesien zu weitreichenden Veränderungen der Meeresströmungen und des Zirkulationssystems der Atmosphäre führt. El Niño verursacht dann in manchen Regionen verheerende Dürren, in anderen dagegen Starkniederschläge und Überschwemmungen. Als möglichen Auslöser vermutet man ein Ansteigen der Meeresoberflächentemperatur im südlichen Pazifik.

Der Mathematiker Adrian Constantin erforscht El Niño – mit reiner Mathematik und komplexen Modellierungen. Spricht man mit Constantin, so hört man ihn von der „Eleganz“ eines mathematischen Beweises schwärmen. Diese liegt für den Mathematiker darin, wie sich scheinbar zusammenhanglose Dinge, wie Magellans Umwege, plötzlich mit einem einzigen  übergeordneten Konzept beschreiben lassen.

Constantins Spezialgebiet sind unter anderem die Tiefenströmungen im Äquatorbereich des Pazifik, die er als möglichen „Unterwasser-Motor“ von El Niño sieht. Temperaturbedingt liegen dort wärmere Wasserschichten auf kälteren. An der Grenzfläche dieser Schichten entstehen Wellen mit gewaltigen Dimensionen: bis zu 40 Meter hoch, über 100 Kilometer lang und mit einer Reichweite von Tausenden von Kilometern. Diese Tiefenströmungen stehen mit der Atmosphäre in Wechselwirkung. Sie erlauben keine Vorhersage, wann El Niño auftritt, wohl aber über seine Stärke.

Ein Monster – so nannten Meteorolog:innen den El Niño, der sich 1997/1998 im Pazifik einstellte und das globale Wettergeschehen erschütterte. Er kostete rund 23.000 Menschen das Leben, die materiellen Schäden bezifferten sich auf mehr als 30 Milliarden Dollar. Heftiger noch war der El Niño von 2015/2016 und erneut waren die Auswirkungen global und fatal: Dürren in Zentralamerika, im Nordosten und Süden Afrikas und in Südostasien. In Indonesien loderten Waldbrände. Zu nass war es dagegen im Süden der USA und im südlichen Südamerika, mit teils schweren Überflutungen als Folge.

Adrian Constantins Forschung zeigt, wie wichtig Grundlagenforschung ist: Um auf das „spanische Christkind“ reagieren zu können, braucht es präzise theoretische Modelle. Mit mathematischer Logik untersucht Constantin auch andere Wellenphänomene: den antarktischen Zirkumpolarstrom, den Polarfrontjetstream oder das Phänomen der „Morning Glory“-Wolken in Australien. Geophysiker:innen und Ozeanograf:innen sind Constantins Partner:innen.

Zur Person

Adrian Constantin ist Professor am Institut für Mathematik der Universität Wien. Die Forschungsbereiche des gebürtigen Rumänen umfassen nichtlineare, partielle Differenzialgleichungen im Bereich der Fluid-Bewegungen sowie daran anschließende mathematische Beschreibungen von Naturphänomenen. Constantin, dessen Arbeit durch seine – für das mathematische Fachgebiet – besonders hohe Anzahl von Zitierungen auffällt, ist Träger zahlreicher Preise und Ehrungen. Neben dem FWF-Wittgenstein-Preis wurde ihm auch ein Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates ERC zugesprochen.

Wittgenstein-Preisträger Adrian Constantin ist fasziniert von den vielfältigen Bewegungsmustern in der Atmosphäre und den Ozeanen der Erde. Der Mathematiker, der an der Universität Wien forscht und lehrt, möchte diesen Phänomenen, die von unzähligen Faktoren abhängig sind, mit den Mitteln seines Fachgebiets auf den Grund gehen.

Besonders wichtig ist ihm, die Schönheit der Mathematik, Kindern, Jugendlichen und Student:innen beizubringen. Mathematik ist unglaublich vielfältig. Es zieht sich – und das ist nicht so leicht zu fassen – kein einzelner Faden, nicht die eine Geschichte durch die Mathematik. Eher liegt ein Netz aus Verknüpfungen darüber, von dem man weder alle Knotenpunkte noch alle Verbindungslinien kennt. Aber immer wieder tauchen Verbindungen auf, wenn Zahlen mit Winkeln und Winkel mit Mustern und Muster wiederum mit Zahlen zusammenhängen.

Worüber würden Ferdinand Magellan und Adrian Constantin in einem 500 Jahre überspannenden Dialog wohl reden? Vermutlich über Magellans Reise und mathematische Beweise: Brachte El Niño ihn vom Kurs ab? Oder wusste der berühmte Weltumsegler ihn geschickt für sich zu nutzen? Unter Segler:innen heißt es: Man kann den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.

Mehr entdecken

Icon eines Spotlights Entdeckung
Christa Schleper entnimmt eine Sedimentprobe aus der Donau
Icon eines Spotlights Entdeckung
Wittgenstein-Preisträgerin Monika Henzinger.
Icon eines Spotlights Entdeckung
Portrait Walter Pohl
Icon eines Spotlights Entdeckung
Wolfgang Lutz blättert in einem großen Atlas
Icon eines Spotlights Entdeckung
Anton Zeilinger erhält den Nobelpreis überreicht
Icon eines Spotlights Entdeckung
Portrait Ferenc Krausz
Nach oben scrollen