Informationstheoretische Behandlung Komplexer Systeme

Gegenwärtig sind komplexe Systeme weit davon entfernt, wissenschaftlich verstanden zu werden und daher grundsätzlich außerhalb der Erreichbarkeit realistischer Kontrolle. Dies ist eine äußerst unbefriedigende Situation, da viele komplexe Systeme von biologischer und gesellschaftlicher Relevanz sind, wie die Wirtschaft, Finanzsysteme, Ökosysteme, das Gehirn oder das Immunsystem. Viele dieser Systeme sind evolutionär in dem Sinn, dass sie das Umfeld mit dem eigenen Fortschreiten in der Zeit verändern. Es wäre höchst wünschenswert, mehr Kontrolle über diese Systeme zu haben, speziell hinsichtlich der Bedingungen unter denen sie kollabieren könnten. In diesem Projekt versuchen wir eine Reihe von mathematischen Werkzeugen zu entwickeln, die es uns erlauben, eine Perspektive auf komplexe Systeme zu nehmen, die bisher vernachlässigt wurde. Wir werden diese Werkzeuge aus Grundbausteinen aufbauen, die in der Physik und in der Computerwissenschaft (Informationstheorie) verwendet werden, um mehrheitlich nicht komplexe Systeme zu beschreiben. Diese Werkzeuge können im Prinzip nicht einfach für komplexe Systeme verwendet, müssen mit extremer Vorsicht auf das jeweilige komplexe System zugeschnitten werden. In diesem Projekt haben wir mehrere Beispiele ausgewählt, wo wir die neue Methodologie systematisch anwenden und testen wollen: Systeme, die evolutionär sind und die Diversität in einem System erzeugen und zerstören, Finanzmärkte, Sandpile Modelle als Minimalmodell zum besseren Verständnis von Erdbeben. Schließlich könnten wir auch in der Lage sein, eine fundamentale Frage in der Physik anzusprechen, die als eine natürliche Konsequenz dieser neuen Techniken hervorgeht, wenn sie auf die klassische Mechanik angewendet werden: der Ursprung der speziellen Relativität aus einer Pfadintegral-basierten Statistik. Das Projekt wird von zwei Gruppen ausgeführt werden, eine in Prag und eine in Wien, weil erst deren gemeinsames Wissen über mathematische und statistische Werkzeuge es möglich macht, die Schwierigkeiten der vorgenommenen Aufgaben zu bewältigen. Es wäre sehr schwierig für die einzelnen Gruppen, ihre jeweiligen Teile des Projekts allein durchzuführen.

Komplexe Systeme sind Systeme, die aus vielen Teilen bestehen, die miteinander interagieren. Sie sind in der Natur allgegenwärtig und reichen von physikalischen und chemischen Systemen über biologische Systeme bis hin zu sozioökonomischen Systemen. Dieses Projekt zielte darauf ab, robuste und effiziente Techniken zur Behandlung komplexer dynamischer Systeme zu entwickeln, zu analysieren und zu implementieren, basierend auf Methoden, die Informationstheorie und statistische (Nichtgleichgewichts-)Physik kombinieren. Bisher wurde dieses Thema nicht systematisch auf theoretischer Basis bearbeitet. Die Hauptergebnisse der Projekte lassen sich in mehrere Gruppen einteilen. Erstens haben wir gezeigt, dass statistische und thermodynamische Eigenschaften einer breiten Klasse komplexer Systeme im Rahmen der sogenannten verallgemeinerten Entropien beschrieben werden können, die die komplexe Struktur vieler Systeme mit langreichweitigen Wechselwirkungen erfassen können. Zweitens konnten wir mit Hilfe der Informationsgeometrie drei Klassen komplexer Systeme nach ihren Skalierungseigenschaften unterscheiden: stark korrelierte Systeme (wie z.B. Gravitationssysteme oder verschränkte Teilchen), schwach korrelierte Systeme (z.B. gewöhnliche Gase) und Systeme mit emergenten Strukturen (z.B. aus Atomen gebildete Moleküle, Selbstorganisation von Kolloidpartikeln). Die oben genannten Ergebnisse motivierten uns, die thermodynamischen Eigenschaften strukturbildender Systeme zu untersuchen und die entsprechenden thermodynamischen Größen einschließlich der Entropie abzuleiten. Schließlich konzentrierten wir uns auf die Eigenschaften komplexer Systeme außerhalb des Gleichgewichts, d.h. bei Vorhandensein von externem Antrieb oder dem Vorhandensein von mehr als einem Wärmereservoir (wie im Fall von Wärmekraftmaschinen). Wir zeigten einen natürlichen Zusammenhang zwischen nichtlinearen Systemen und verallgemeinerten Entropien und konnten ihre Gleichgewichts- und Nichtgleichgewichtseigenschaften ableiten.