Diskursverhandlungen in Literatur über Hermaphroditismus
Discursive Intersections in Literature on Hermaphroditism
Wissenschaftsdisziplinen
Andere Geisteswissenschaften (15%); Soziologie (15%); Sprach- und Literaturwissenschaften (70%)
Keywords
-
Hermaphroditism,
Intersexuality,
Body,
Gender Identity,
Illness,
Contemporary Literature
Seit Ende des 20. Jahrhunderts ist sowohl im deutschsprachigen Raum als auch auf internationalem Boden ein Anstieg an Publikationen literarischer Werke zu vermerken, in welchen das Motiv des Hermaphroditismus einen zentralen Stellenwert einnimmt. Die neu publizierten Werke (Publikationsrahmen: 1990-2010) entfernen sich von antiken Traditionen des Motivs, indem sie Hermaphroditismus weniger als Sinnbild von Harmonie und Vollkommenheit thematisieren, denn als Krankheit nach medizinischen Kriterien. Es ist Ziel des beantragten Projektes, 10-15 deutschsprachige literarische Werke sowie für den deutschsprachigen Raum relevante Publikationen aus anderen Ländern bezüglich ihrer Verarbeitung des Motivs zu untersuchen. Die Texte sind dabei unterschiedlichen literarischen Genres zuzuordnen. Den meisten der ins Auge gefassten Werke wurde bislang keine literaturwissenschaftliche Aufmerksamkeit gezollt. Auch eine umfassende Zusammenschau und vergleichende Analyse stellen ein Forschungsdesideratum dar. Auf diese Weise kann mittels der zu erwartenden Ergebnisse des beantragten Projekts ein bedeutender Beitrag zum Verständnis zeitgenössischer Literatur geleistet werden. Basierend auf ersten Recherchen liegt dem Projekt die Annahme zugrunde, dass das Interesse am Motiv mit der Tatsache in Verbindung steht, dass seit den 1990er Jahren in der westlichen Welt eine Diskursmultiplikation auf dem Gebiet zu beobachten ist. Hermaphroditismus avanciert zu einem Streitgegenstand der Naturwissenschaften/Medizin sowie der poststrukturalistisch orientierten Gender Studies (vgl. BUTLER): Während insbesondere die Medizin seit Jahrhunderten Hermaphroditismus als eine Devianzerscheinung einer als normal erachteten weiblichen/männlichen Geschlechtsentwicklung fasst, wird innerhalb der Gender Studies auf die historische Kontingenz des von der Medizin aufrechterhaltenen Systems des Genderdimorphismus hingewiesen. Im Zuge dessen wird die Gültigkeit binärer Normensysteme (krank/gesund, deviant/normal, männlich/weiblich) in Frage gestellt. Hinsichtlich dieser Debatten erweist sich Hermaphroditismus als travelling concept (vgl. BAL), das im Zuge seiner akademischen Reisen` wiederum verstärkt in die Literatur Eingang findet. Innerhalb des beantragten Projektes gilt es dabei, die diskursiven Intersektionen von medizinischem Wissen, Gender-Fragen und Narration in den Fokus zu stellen. Dergestalt soll in einem ersten Lektüreschritt unter Bezugnahme auf die Theorien narrativer Identität (vgl. RICUR) sowie auf das Werkzeug der Narratologie (vgl. BAL) der narrativen Konstitution von (Geschlechts )Identität sowie den narrativen Materialisationen des devianten` hermaphroditischen Körper innerhalb der Werke nachgegangen werden. Desweiteren soll die Funktion der hermaphroditischen Figuren für die narrative Struktur der Werke analysiert werden. In diesem Zusammenhang sind Plot-Analysen geplant, welche Aufschluss über die hermaphroditischen Figuren als Handelnde geben sollen (vgl. GUTENBERG). Die einzelnen Plot-Analysen fungieren schließlich als Basis für vergleichende Analysen der Plotstruktur der Werke. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, ob sich narrative Muster finden lassen. Indem innerhalb dieser Lektüren mögliche (literarische) Konzeptionen von Körpern und Geschlechtsidentität abseits des Systems des Genderdimorphismus fokussiert werden, gilt es auch, realen` hermaphroditischen Personen und ihren Problemen gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Das Forschungsprojekt setzte es sich zum Ziel, interdiskursive Erzählweisen von Intergeschlechtlichkeit in deutschsprachiger Literatur (1990-2015) zu analysieren. Ausgangspunkt des Projekts stellte die Beobachtung dar, dass Intergeschlechtlichkeit ausgehend von den USA der 1990er Jahre verstärkt Gegenstand politischer Diskussionen geworden war. Die Kritik nahm dabei den Umstand in den Fokus, dass in der westlichen Welt Personen, die mit anatomischen Geschlechtsmerkmalen beider Geschlechter geboren werden, ohne Einwilligung der sie Betreffenden möglichst noch im Kleinkindalter chirurgisch in Richtung anatomisch korrekte Männlich- oder Weiblichkeit vereindeutigt werden. Insgesamt wurde und wird von Aktivist_innen eine Gesellschaft angeprangert, die nur zwei Geschlechter (aner)kennt, geschlechtliche Eindeutigkeit fordert und versucht, Abweichungen mittels der Medizin unsichtbar zu machen. Im Rahmen des Projekts wurde untersucht, auf welche Weise literarische Texte den von einem binären Geschlechterverständnis geprägten medizinischen Diskurs (kritisch) aufgreifen und mit anderen, künstlerischen und/oder wissenschaftlichen, Motiv- und Bildkomplexen in Berührung bringen. Eine Analyse dieser Diskursbegegnungen zeigte, dass sich die zeitgenössische deutschsprachige Literatur des Themas Intergeschlechtlichkeit hauptsächlich im Rahmen von fünf Motiv- und Bildkomplexen annimmt: So erschienen zahlreiche (auch fiktionale) autobiographisch orientierte Texte, zudem Texte, die Intergeschlechtlichkeit im Familienrahmen verorten, Kriminalromane, Romane, die intergeschlechtliche Figuren als übermenschliche Engel darstellen, sowie Texte, die Intergeschlechtlichkeit mittels grotesker Körperdarstellungen thematisieren. Während die Autobiographien und Familienromane ihren Fokus hauptsächlich auf Medizin- und Gesellschaftskritik legen, beleuchten die Kriminalromane meist intergeschlechtliche Opfer, die aufgrund ihrer Erfahrungen zu Täter_innen werden. In den Romanen mit intergeschlechtlichen Engelsfiguren steht eine Analyse von Gewalterfahrungen gegen Personen im Fokus, die von ihrem Umfeld als anders wahrgenommen werden. Groteske Körperdarstellungen wiederum stellen Subjektvorstellungen der Moderne in Frage, indem sie das Subjekt nicht als autonome, abgeschlossene Entität sondern als fragmentiertes, grenzoffenes Gebilde darstellen.Als Fazit der Analysen des Projekts ist festzuhalten, dass die Veröffentlichung von Literatur zu Intergeschlechtlichkeit wesentlich dazu beitragen konnte, emanzipatorisch orientierte Diskurse zu unterstützen, indem sie das über viele Jahrhunderte tabuisierte Thema in der Öffentlichkeit sichtbar macht und auf die gewaltvolle Dimension der medizinischen Vorgangsweise und insgesamt des etablierten binären Geschlechtersystems verweist. Die Projektarbeit selbst konnte zudem Diskurs verändernd auf wissenschaftliche Umgangsweisen mit Intergeschlechtlichkeit einwirken, da sie den Austausch mit politischen Aktivist_innen vorantrieb und es ihr Anliegen war, mittels interdisziplinär und interdiskursiv ausgerichteter Schreibprojekte Alternativen zu traditionellem wissenschaftlichem Schreiben über Andere als Objekt zu entwickeln.
- Universität Wien - 100%
- Werner Frick, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg - Deutschland
- Sabine Hark, Technische Universität Berlin - Deutschland
- Andrea Maihofer, Universität Basel - Deutschland
Research Output
- 15 Publikationen