Tschechoslovakische Nachrichtendienste in Österreich

Bereits nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begannen die neu formierten tschechoslowakischen Nachrichtendiente ihre ersten Aktivitäten im benachbarten Österreich. Kurz nach der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 nahmen diese Aktivitäten stark zu Österreich wurde zu einer wichtigen Drehscheibe für Operationen gegen den Westen. In der ersten Hälfte der 1950er-Jahre, während der Besatzungszeit, wurden viele aus der Sicht der Sowjetunion kritische Operationen von tschechoslowakischen Netzwerken und ihren Mitarbeitern durchgeführt. Dem US- amerikanischen "Counterintelligence Corps" (CIC, militärische Spionageabwehr) zufolge gehörten die tschechoslowakischen Nachrichtendienste zu den aktivsten Diensten aus Osteuropa, die gerade auf österreichischem Gebiet eine entscheidende Rolle im aufkommenden Kalten Krieg spielten. Die tschechoslowakischen Aktivitäten in Österreich insgesamt sind bislang kaum erforscht. Das vom FWF geförderte Projekt hat eine systematische Analyse der Aktivitäten der tschechoslowakischen Residenturen (nachrichtendienstlichen Stützpunkten) in Wien und Salzburg und deren Personals in der ersten Hälfte des Kalten Krieges zum Ziel, mit Vergleichen zu anderen wichtigen Stationen der tschechoslowakischen Dienste. Zentrale Fragestellungen sind etwa, wie die dafür notwendigen, geheimem Netzwerke geschaffen, erhalten und abgesichert, welche operativen Methoden angewandt und welche Ziele verfolgt wurden. Die Ergebnisse des Projektes werden damit einen wichtigen Beitrag zu den Cold War Studies leisten und helfen einzuschätzen, welche Auswirkungen diese nachrichtendienstlichen Aktivitäten auf politische, wirtschaftliche, militärische und auch wissenschaftliche Entwicklungen in Österreich, in der ehemaligen Tschechoslowakei und auch auf den Kalten Krieg in Zentraleuropa insgesamt hatten. Die Kombination von Aktenmaterial von allen Seiten dieses Konfliktes im geheimen wird uns in die Lage versetzen, die tschechoslowakischen Aktivitäten besser zu verstehen und nähere Erkenntnisse über die Zielsetzungen der tschechoslowakischen Dienste (und der osteuropäischen insgesamt) in Österreich zu gewinnen. Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung und Professorin für Europäische Zeitgeschichte an der Universität Graz, wird das Forschungsprojekt leiten. Sie bringt ihre Expertise bezüglich der sowjetischen Präsenz in Österreich und auch deren Spionageabwehr ins Projekt mit ein. Dieter Bacher zeichnet für die Koordination des Projektes und die US-amerikanische und britische Perspektive verantwortlich. Und Philipp Lesiak wird sich primär der Analyse von tschechoslowakischen und verfügbaren österreichischen Dokumentationen widmen. Das Projekt wird am Institut für Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz in Kooperation mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung, Graz Wien Raabs, und der Stadt Graz durchgeführt.

Das Projekt hatte zum Ziel, die Aktivitäten tschechoslowakischer Geheim- und Nachrichtendienste in Österreich, ihre Methoden, Strategien, Netzwerke und Auswirkungen zu erheben und zu analysieren. Parallel war auch die Vermittlung von Ergebnissen des Projektes und Informationen zu historischen intelligence studies zu Österreich sowohl der wissenschaftlichen Fachwelt als auch der breiten Öffentlichkeit ein wichtiges Anliegen. Das Projekt sammelte und kategorisierte rund 560.000 Seiten an relevantem Aktenmaterial aus tschechischen, US-amerikanischen, britischen, österreichischen, ungarischen und Schweizer Archiven. Dieses wurde dann gezielt zu Zielen, Methoden und Auswirkungen dieser Aktivitäten von 1948 bis 1960 in Österreich ausgewertet. Da sich die Informationen vor allem auf Operationen im Bereich der "human intelligence" (HUMINT) beziehen, wurde eine Datenbank konzipiert, in der Dokumentationen und Informationen zu rund 1000 Personen, die für diese Aktivitäten eine wichtige Rolle spielten, gesammelt und verknüpft werden konnten. Dies ermöglichte es, in den Dokumenten fehlende Verknüpfungen zu ergänzen und genauere Einblicke zu erhalten. Parallel wurden die Reproduktionen des Aktenmaterials nach dem Erfassungssystem des jeweiligen Archivs in einem zentralen digitalen Projektarchiv abgelegt, um diese Dokumentationen entsprechend mit der Arbeitsdatenbank verknüpfen zu können. Die weiterführende Analyse erbrachte etwa folgende Erkenntnisse: Es zeigte sich, dass die Dienste sehr bald nach der kommunistischen Machtergreifung im Februar 1948 in der Tschechoslowakei auch in Österreich aktiv wurden. Bereits im Sommer desselben Jahres nahmen die Aktivitäten in Österreich stark zu. Die Zielsetzungen waren mit denen der Dienste anderer osteuropäischer kommunistischer Dienste vergleichbar: Überwachung der Aktivitäten westlicher Nachrichtendienste, Beobachtung von Flucht und Emigration aus der Tschechoslowakei nach Österreich, und Observation und Infiltration von Emigrantenkreisen. Wirtschafts- und Technologiespionage spielten am Rande eine Rolle. Strukturell spielten bis zumindest 1952 Stationen in Österreich dabei offenbar nur eine unterstützende Rolle - die operativen Zentren für Österreich befanden sich in Brno (für ganz Österreich, vor allem die britische Besatzungszone im Süden des Landes und Wien) und Ceske Budejovice (für die US-amerikanische und französische Zone im Westen). Bratislava spielte eine nicht so wichtige, eher unterstützende Rolle für Wien. Auch aus diesem Grund bedienten sich tschechoslowakische Verbindungsleute in großem Maße der Rekrutierung von österreichischen Personen. Die Residentur in Wien gewann erst ab 1953 an Bedeutung und war ab 1955, zusammen mit einer zweiten wichtigen Residentur in Salzburg, zentral für die Aktivitäten zuständig. Parallel war die Zusammenarbeit zwischen osteuropäischen Diensten ab den 1950er-Jahren wichtiger als zunächst angenommen. Vor allem die Zusammenarbeit mit ungarischen Nachrichtendiensten war sehr wichtig, weshalb diese im Projekt ebenfalls analysiert wurde. Aufgrund des guten Aktenzugangs auf US-amerikanischer Seite erbrachte das Projekt auch wesentliche Neuerkenntnisse zur Tätigkeit der US-Spionageabwehr in Österreich, vor allem zum Coutnerintelligence Corps (CIC). Durch den vergleichenden Forschungsansatz des Projektes ermöglichen die Ergebnisse damit auch einen besseren und tieferen Einblick in die Rolle Österreichs als Operationsgebiet für Nachrichtendienste in der ersten Hälfte des Kalten Krieges.