Aktuarielle Kontrollprobleme unter Stochastischer Verzinsung
Actuarial Control Problems under a Stochastic Interest Rate
Wissenschaftsdisziplinen
Mathematik (100%)
Keywords
-
Actuarial Mathematics,
Optimal Stochastic Control,
Hamilton-Jacobi-Bellman equation,
Dividends,
Capital Injections,
Short Rate Models
Eine der Folgen der globalen Finanzkrise sind die extrem niedrigen, teilweise noch sinkenden und in manchen europäischen Ländern sogar negative Zinssätze. Während es in der Finanzmathematik übliche Praxis ist, stochastische Zinsraten zu betrachten, ist es in der Sachversicherungsmathmatik ein relativ neues Feld. In der Tat benutzen die optimalen Kontrollprobleme im Nicht-Leben Bereich grundsätzlich positiven und konstanten Zinssatz. Auf den ersten Blick mag es einem so vorkommen, dass die Zinssatzänderungen in erster Linie die Lebensversicherungsbranche betreffen, aber zahlreiche ökonomische und mathematische Berichte zeigen, dass auch auch Sach- und Rückversicherungen unter dem niedrigen Zinsniveau leiden. Zum Beispiel in dem Bericht Swiss Re-Sigma 4/2012 Facing the interest rate challenge gehen die Autoren der Frage nach wie die Zinsen Versicherungen beeinflussen und erklären, warum ein schneller Zinsanstieg oder anhaltend niedrige Zinsen für einen Versicherer eine Herausforderung darstellen. In der Tat sind nicht alle Versicherungssparten gleichermaßen betroffen. Unter extrem niedrigen Nominalzinsen leiden die Lebensversicherungsunetrnehmen am meisten, da sie ihre langfristigen Verbindlichkeiten wie z.B. Renten oder Lebensversicherungen bei einem bestehenden niedrigen Zins nicht mehr erfüllen können. Auch Sachversicherer könnten durch abrupte Zinssatzänderungen oder anhaltende niedrige Zinsen zu Prämienerhöhungen oder Dividenden- kürzungen gezwungen sein. Im vorliegenden Projekt werden wir den Überschussprozess eines Versicherungsunternehmen durch eine Brownsche Bewegung mit Drift modellieren. Damit wird die zufällige Ertrags- bzw. Verlustdynamik beschrieben. Darüber hinaus wird der Diskontierungsfaktor durch einen stochastischen Prozess gegeben, d.h. wir lassen die Verzinsung von der globalen makroökonomischen Situation abhängen. Zunächst betrachten wir die folgenden Risikomaße: die erwarteten diskontierten Dividenden, und die Differenz der erwarteten diskontierten Dividenden und Kapitalzuführungen (Zahlungen, die erforderlich sind, um das Kapital des betrachteten Unternehmens positiv zu halten). D.h. unser Risikomaß ist der gegenwärtige erwartete Wert des zukünftigen Cashflows, unter der Prämisse eines zufallsabhängigen Zinssatzes. Wir modellieren den Zinssatz durch einen Ornstein-Uhlenbeck- Prozess, d.h. wir lassen negative Zinsen zu. In Anbetracht der Tatsache, dass die Europäische Zentralbank (EZB) am 16. März 2016 den kurzfristigen Terminzinssatz auf Null gesetzt hat, erscheint diese Annahme sehr realistisch. Im ersten Teil des Problems, approximieren wir den zugrundeliegenden Ornstein-Uhlenbeck Prozess durch eine Folge von Irrfahrten, welche die Handhabbarkeit des Problems deutlich erhöhen. Im zweiten Teil dürfen die Strategien nur an zufälligen Zeitpunkten (Ankunftszeiten eines Poisson-Prozesses) ausgeübt werden. Die zeitlich Diskretisierung wird bei der Konstruktion der optimalen Lösung hilfreich sein. Im zweiten Modell greifen wir das Problem der Berechnung der Wertefunktion in einem zeitinhomogenen Modell auf. Dort ist es oft unmöglich, die Wertefunktion als genügend glatte Lösung zu charakterisieren. Ein möglicher Ausweg ist, den Abstand zwischen der Wertefunktion und der Performance-Funktion einer beliebigen Strategie zu schätzen. Dies hilft, die Güte der verschienen nichtoptimalen Strategien zu bestimmen. Schließlich modellieren wir den Diskontierungsfaktor als Exponentialfunktion eines affinen Prozesses. Wir starten mit einem Cox-Ingersoll-Ross (CIR) Prozess und wählen die Parameter so, dass der CIR-Prozess nur positive Werte annehmen kann und in unendlicher Zeit gegen unendlich konvergiert. Auch hier möchten wir den Wert der erwarteten diskontierten Dividenden maximieren.
Im diesem Projekt betrachten wir drei relevante versicherungsmathematische Themen: Optimierungsprobleme in der Sachversicherung mit nicht-deterministischen Zinsen; Optimierungsprobleme in der Lebensversicherung in der Niedrigzinsphase und deren Nachwirkungen; Der Einfluss von COVID-19 auf die Versicherungsbranche. Für das Ranking von Versicherungsunternehmen ist die Wahl eines geeigneten Risikomaßes eine zwingende Voraussetzung. Es ist ein natürlicher Gedanke, dass der Cashflow (Einnahmen und Ausgaben) eines Unterhemens in die Bewertung einfließen sollte. Die Risikomaße, die auf den Cashflow der Unternehmen basieren, müssen alle Zahlungsstöme auf einen Zeitpunkt bringen. Schließlich hat eine Geldeinheit am heutigen Tage selten den gleichen Wert wie dieselbe Geldeinheit in der Zukunft. Der Zeitwert des Geldes wird durch den Zins beschrieben. Es ist naiv davon auszugehen, dass der Zins über die Jahre hinweg unverändert bleibt. Also liegt es nahe, den Zins stochastisch zu modellieren. Optimierungsprobleme mit unterschiedlichen Risikomaßen, unendlichem oder endlichem Zeithorizont und einem stochastischen Zins sind der Gegenstand des ersten Teils dieses Projektes. In solchen Modellen betrachtet man Ziel-funktionale, welche die Risiken eines Versichertenbestandes, erweitert durch die Möglichkeit von Dividendenzahlungen oder Rückversicherung, quantifizieren. Der technische Unterschied zu den Modellen mit konstanter Zinsrate besteht darin, dass die Zielfunktionale multidimensional werden, was die Lösung des betrachteten Problems durch den Hamilton-Jacobi-Bellman Ansatz erschwert. Nichtsdestotrotz wurden die in diesem Projekt betrachteten Probleme gelöst, entweder explizit oder durch Rekursionsverfahren. Im zweiten Teil des Projektes spielen die Zinsen nur implizit eine Rolle. Die Probleme in der Lebensversicherungsbranche, die ohnehin durch Langlebigkeit und fallende Geburtenraten schwer betroffen ist, werden in den Niedrigzinsphasen zusätzlich verstärkt. Kann man die drohenden, fast sicheren, Verluste durch geschickte rechtzeitige Investitionen abschwächen? Wie ersetzt man Garantien in Rentenprodukten? Was sind die Reputationsrisiken eines Rentenversicherungsunternehmens, das keine Garantien anbietet und die Renten tatsächlich senken möchte? All diese Fragen werden mathematisch formuliert und im Rahmen der aufgestellten Modelle beantwortet. Der letzte Teil des Projektes began während der ersten Phase von COVID-19, im März 2020. Es wurde schnell klar, dass die Versicherungsbranche der Situation mit Lockdowns nicht gewachsen war. Heute sind sich die Versicherer sicher: die nächste Pandemie wird kommen. Ist eine Pandemie-Versicherung überhaupt möglich? Was sind die rechtlichen und die aktuariellen Konsequenzen von COVID- 19, wie modelliert man die Pandemiekosten? Diese und andere Fragen wurden behandelt in einem editierten Band sowie in einem separaten Artikel.
- Technische Universität Wien - 100%
- Kais Hamza, Monash University - Australien
- Hanspeter Schmidli, University of Copenhagen - Dänemark
- Yuliya Mishura, Taras Shevchenko National University of Kyiv - Ukraine
Research Output
- 59 Zitationen
- 29 Publikationen