Die Zeichen, welche die Seidenstraße prägten - Eine Datenbank und Digitale Paläographie der Tarim Brahmi
The Characters that shaped the Silk Road - A Database and Digital Paleography of Tarim Brahmi
Wissenschaftsdisziplinen
Andere Geisteswissenschaften (20%); Geschichte, Archäologie (40%); Sprach- und Literaturwissenschaften (40%)
Keywords
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Central Asian Linguistics,
Indo-European Philology,
Paleography,
Early Buddhism,
Digital Humanities,
Silk Road Studies
Im Tarimbecken in der heutigen Region Xinjiang in China entstanden im Laufe des 2. Jahrhunderts n.u.Z. entlang der Handelswege der Seidenstraße unzählige buddhistische Gemeinden und Klöster. Diese waren wie die mittelalterlichen Klöster Europas Heimstätten einer Kultur des Schreibens. Die bedeutendsten Sprachen dieser Klöster waren die alten indogermanischen Sprachen Sanskrit, Tocharisch und Khotansakisch. Die wichtigste Schrift, in welcher diese Sprachen geschrieben wurde, war eine eigene zentralasiatische Form der aus Indien stammenden Brahmi-Schrift, die Tarim Brahmi. Die frühen Schrifttümer der geistigen Zentren des Tarimbeckens gehören zu den ältesten erhaltenen Textzeugnissen des Buddhismus. Das in Tarim Brahmi geschriebene Material war bisher auf viele unterschiedliche Ausgaben verstreut und zu einem großen Teil nicht computergestützt untersuchbar. Ziel des Projektes ist daher, alle in der Tarim Brahmi geschriebenen Texte in einer Online-Datenbank zugänglich zu machen und damit diese Schrift einer umfassenden paläographischen also schriftkundlichen Untersuchung zu unterziehen. Im Zentrum dieses Projekts stehen also die Fragen, wer was wann wo wie geschrieben hat. Diese klassischen Fragen der Paläographie, die in Bezug auf die Tarim Brahmi bisher nur für einen kleinen Teil des Materials gestellt und wenn überhaupt nur ansatzweise behandelt werden konnten, sollen mittels einer Verbindung aus qualitativen und quantitativen Methoden gelöst werden. In der Datenbank werden sprachliche, philologische und paläographische Daten miteinander verknüpft. Die Texte werden direkt mit ihren digitalen Fotografien verbunden, was ein Suchen und Auffinden von einzelnen Zeichen, Zeichenkombinationen oder Wörtern im gesamten Textmaterial möglich macht. Darüber hinaus werden die quantifizierbaren Eigenschaften jedes einzelnen Zeichens bzw. jeder Zeichenkombination oder jedes Wortes mit Hilfe von Computerprogrammen herausgelesen und miteinander verglichen. Dies wird zum ersten Mal die Bestimmung von Schreiberhänden und -schulen ermöglichen und detaillierten Aufschluss über die regionalen und zeitlichen Varianten der Tarim Brahmi geben. Beinahe alle Texte in allen mit Tarim Brahmi geschriebenen Sprachen sind in fragmentarischem Zustand. Eines der wichtigsten zu erwartenden Ergebnisse wird daher sein, dass es gestützt auf die Paläographie gelingen wird, die tausenden kleinen Textteile zu größeren Einheiten zusammenzufügen. Indem damit neue Texte, Kontexte, Wörter und Wortformen aufgefunden werden, wird dies neue linguistische und philologische Erkenntnisse über Sanskrit, Tocharisch und Khotansakisch zeitigen. Die durch die Paläographie mögliche Datierung und Lokalisierung aller Texte wird ebenfalls neue Perspektiven auf die regionale, soziale und historische Schichtung der Sprachen und Texte geben. Dies wiederum wird die Verhältnisse der Sprachen und Texte zueinander erhellen, was wichtige Auswirkungen auf das Verständnis der Ausbreitung des Buddhismus in Zentralasien und von dort nach China haben wird. Das Projekt wird geleitet vom Sprachwissenschaftler und Zentralasienforscher Hannes A. Fellner und einem internationalen Team von Forschenden mit Spezialisierung in Sprachwissenschaft und Digital Humanities.
Das Projekt untersuchte die aus Indien stammende Tarim-Brahmi-Schrift, die entlang der Seidenstraße im Tarim Becken im heutigen Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang der Volksrepublik China etwa zwischen dem zweiten und zehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung zur Überlieferung der indogermanischen Sprachen Sanskrit, Sakisch und Tocharisch verwendet wurde. Die Schrift spielte eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung buddhistischer Inhalte und kultureller Praktiken und gibt wertvolle Einblicke in die sprachliche und kulturelle Entwicklung dieses bedeutenden Teiles Zentralasiens. Ein zentrales Ziel des Projekts war es, die große sprachliche Vielfalt dieser Region durch digitale Technologien zugänglich zu machen. Hierbei kamen Methoden der Digital Humanities zum Einsatz, um die mit der Tarim-Brahmi-Schrift geschriebenen sprachlichen Zeugnisse digital zu erfassen, zu analysieren und in eine systematische Datenbank einzupflegen. Mittels moderner digital-paläografischer Verfahren konnten die individuellen Handschriften verschiedenen Schreibschulen zugeordnet werden und regionale, historische und stilistische Variationen dokumentiert werden. Die Datenbank und die digitale Aufbereitung der Textzeugnisse ermöglichen einen Überblick über die Entwicklung der Tarim-Brahmi-Schrift und ihrer Variation in Zusammenhang mit der Entwicklung der involvierten Sprachen über mehrere Jahrhunderte hinweg. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Rekonstruktion von Schriftentwicklung und -verwendung in unterschiedlichen Kontexten: Zum einen diente die Brahmi-Schrift als Medium für religiöse Texte, vor allem buddhistischer Art, in Sanskrit, aber auch Tocharisch und Sakisch. Zum anderen wurde sie in weltlichen Kontexten eingesetzt, wodurch sie ein wichtiges Bindeglied der verschiedenen Kulturen und Sprachen entlang dieses Teils der Seidenstraße war. Mit den digitalen Ansätzen der Paläografie kann die Tarim-Brahmi-Schrift mit ihren Varianten nun nach verschiedenen linguistischen, philologischen, historischen Gesichtspunkten klassifiziert werden, was ein besseres Verständnis der sprachlichen Ökologie und kulturellen Vielfalt entlang dieses Teils der Seidenstraße ermöglicht. Das "Tarim Brahmi"-Projekt zeigt auf, wie Digital Humanities zur Dokumentation, Analyse und Erhaltung historischer Sprach-, Text- und Kulturvielfalt beitragen. Die digitale Erfassung und die paläografische Analyse erleichtern es nicht nur, die historischen Veränderungen der Schrift zu verstehen, sondern eröffnen auch die Möglichkeit, die mit ihr geschriebenen Texte in einem interaktiven, öffentlich zugänglichen Format weltweit der Forschung und interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So können Forschenden und Interessierte diese Schrift, die in ihr geschriebenen Sprachen und mit ihnen tradierten Inhalte umfassend erforschen, was die internationale Forschung an diesen alten indogermanischen Sprachen und Kulturen der östlichen Seidenstraße nachhaltig bereichert. Durch die Kombination von Paläografie, Sprachwissenschaft und Digital Humanities hat das Projekt neue Zugänge zur Erforschung der Geschichte der Seidenstraße geschaffen. Die Forschungsergebnisse tragen entscheidend dazu bei, die Schrift- und Sprachlandschaft des Tarimbeckens und seine Rolle im kulturellen Austausch in diesem Teil Zentralasiens besser zu verstehen. Die digitale Datenbank stellt ein wertvolles Werkzeug der Grundlagenforschung dar, um das reiche Erbe der Tarim Region und der damit verbundenen Sprachen zu bewahren und zu analysieren und die komplexen kulturellen Verbindungen an der östlichen Seidenstraße besser zu verstehen.
- Karlheinz Mörth, Österreichische Akademie der Wissenschaften , assoziierte:r Forschungspartner:in
- Rong Xinjiang, Peking University - China
- Abdurishid Yakup, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften - Deutschland
- Yukiyo Kasai, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften - Deutschland
- Klaus Wille, Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz - Deutschland
- Sam Van Schaik, The British Library - Großbritannien
- Irina Popova, Russian Academy of Sciences - Russland
Research Output
- 15 Zitationen
- 18 Publikationen
- 2 Datasets & Models
- 1 Wissenschaftliche Auszeichnungen
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2025
Titel Tocharian and Indo-European Studies 21 Typ Book Autor Olsen Birgit Anette Verlag Museum Tusculanum Press -
2024
Titel Exploring an extinct society through the lens of Habitus-Field theory and the Tocharian text corpus DOI 10.1057/s41599-023-02503-2 Typ Journal Article Autor Wieczorek O Journal Humanities and Social Sciences Communications Seiten 56 Link Publikation -
2021
Titel Specifying semantics of synonymous verbs in Tocharian A Typ PhD Thesis Autor Maxim Vyzhlakov Link Publikation -
2021
Titel Tocharian and Indo-European Studies 20: Volume 20 Typ Book Autor Olsen Birgit Anette Verlag Museum Tusculanum Press -
2022
Titel Ha! Linguistic Studies in Honor of Mark R. Hale DOI 10.29091/9783752000856 Typ Book editors Grestenberger L, Reiss C, Fellner H, Pantillon G Verlag Dr. Ludwig Reichert Verlag Link Publikation -
2019
Titel The differing status of reconstruction in Trans-Himalayan and Indo-European DOI 10.1163/19606028-04802006 Typ Journal Article Autor Fellner H Journal Cahiers de Linguistique Asie Orientale Seiten 159-172 Link Publikation -
2019
Titel Word families, allofams, and the comparative method DOI 10.1163/19606028-04802001 Typ Journal Article Autor Fellner H Journal Cahiers de Linguistique Asie Orientale Seiten 91-124 Link Publikation -
2021
Titel 18 Tocharian DOI 10.1515/9783110641325-018 Typ Book Chapter Autor Malzahn M Verlag De Gruyter Seiten 577-590 -
2024
Titel Gerd Carling & Georges-Jean Pinault, Dictionary and thesaurus of Tocharian A (Wiesbaden: Harrassowitz 2023). Geb., 615 S. ISBN 978-3-447-12002-9. € 100,80. DOI 10.13173/spr.56.1.209 Typ Journal Article Autor Koller B Journal Die Sprache Seiten 209-216 -
2022
Titel Ha! Linguistic Studies in Honor of Mark R. Hale Typ Book Autor Grestenberger Laura Verlag Dr Ludwig Reichert -
2022
Titel Lyuke wmer ra: Indo-European Studies in Honor of Georges-Jean Pinault Typ Book Autor Fellner Hannes A. Verlag Beech Stave Press Inc -
2022
Titel Zuruck Zur Wurzel - Struktur, Funktion Und Semantik Der Wurzel Im Indogermanischen: Akten Der Tagung Der Indogermanischen Gesellschaft Vom 13. Bis 16. September 2016 in Wien Typ Book Autor Malzahn Melanie Verlag Dr Ludwig Reichert -
2022
Titel What are cognates? DOI 10.2218/pihph.7.2022.7405 Typ Journal Article Autor Meelen M Journal Papers in Historical Phonology Seiten 44-80 Link Publikation -
2020
Titel Klaus T. Schmidt with Stefan Zimmer (ed.): Nachgelassene Schriften. 1. Ein westtocharisches Ordinationsritual. 2. Eine dritte tocharische Sprache: Lolanisch. (Monographien zur indischen Archäologie, Kunst und Philologie 24.) x, 275 pp. Bremen: Hempen DOI 10.1017/s0041977x20000245 Typ Journal Article Autor Koller B Journal Bulletin of the School of Oriental and African Studies Seiten 159-161 -
2021
Titel Claire Le Feuvre, Daniel Petit and Georges-Jean Pinault (eds), Verbal Adjectives and Participles in Indo-European Languages / Adjectifs verbaux et participes dans les langues indo-européennes. Proceedings of the conference of the Society for Indo-Eur DOI 10.13173/spr.53.1.114 Typ Journal Article Autor Koller B Journal Die Sprache Seiten 114-120 -
2019
Titel Digital Approaches to the Linguistic and Paleographic History of Tocharian B Typ Conference Proceeding Abstract Autor Fellner Ha Konferenz 30th Annual UCLA Indo-European Conference Seiten 61-76 Link Publikation -
2018
Titel On Sonority and Accent in the Tocharian B Nominal System; In: Formal Representation and the Digital Humanities Typ Book Chapter Autor Fellner Ha Verlag Cambridge Scholars Link Publikation -
2018
Titel Notes on Verbal Governing Compounds in Tocharian Typ Conference Proceeding Abstract Autor Fellner Ha Konferenz 28th Annual UCLA Indo-European Conference Seiten 53-70 Link Publikation
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2018
Titel Young Academy Typ Awarded honorary membership, or a fellowship, of a learned society Bekanntheitsgrad National (any country)