Die Kontrolle großer Quantenrechensysteme stellt Entwickler:innen vor große technische Herausforderungen. Der Tiroler Quantenwissenschaftler Wolfgang Lechner hatte im Rahmen seiner vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Grundlagenforschung die Idee zu einer neuartigen Architektur für Quantencomputer, bei der die schwierige Vernetzung vieler Qubits – die Ursache zahlreicher Hürden im Quantencomputing – nicht mehr notwendig ist. Das Spin-off-Unternehmen ParityQC, mit dem Lechner und sein Team die Technologie zur Anwendung bringen, wurde binnen kürzester Zeit zur Erfolgsgeschichte.

Die besten Ideen kommen manchmal dann, wenn man sie am wenigsten erwartet: Wolfgang Lechner etwa wachte bei einem Konferenzbesuch in Dänemark mitten in der Nacht in seinem Hotelbett auf und hatte einen Geistesblitz. Der Innsbrucker Quantenphysiker wusste plötzlich, wie sich eine revolutionäre Architektur für Quantencomputer doch noch umsetzen lässt. Ein Ansatz, der unter anderem von Lechner selbst bereits mathematisch falsifiziert worden war, entkam in der veränderten Form der mathematischen Unmöglichkeit. Der nächtliche Geistesblitz führte zu einem Patent und einige Jahre später, im Jahr 2020, zur Gründung von ParityQC, einem Spin-off der Universität Innsbruck und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Ziel ist es, Quantencomputing neu zu denken und dabei wesentliche Probleme bisheriger Architekturen, die mit zunehmender Größe schwer kontrollierbar werden, zu lösen.

Fünf Jahre nach der Gründung zählt das Innsbrucker Unternehmen samt der mittlerweile entstandenen Tochtergesellschaft in Berlin bereits 60 Mitarbeiter:innen. Eine weitere Niederlassung in London ist im Aufbau. Lechner und Kolleg:innen konnten Hardwarehersteller:innen in aller Welt von ihrem neuartigen Quantencomputer-Bauplan überzeugen, der auch bei großen Rechenaufgaben nicht an Komplexitätsgrenzen stößt. Eine der ersten großen Kooperationen entstand mit dem japanischen IT-Konzern NEC, der mittlerweile voll auf den Ansatz aus Innsbruck setzt. 2023 präsentierte NEC bereits den weltweit ersten Quantenprozessor mit ParityQC-Architektur. 

In der internationalen Quantenforschung ist Lechners Start-up bestens vernetzt: Gemeinsam mit einem Konsortium konnte man zwei der größten Aufträge lukrieren, die das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Bereich Quantencomputing bisher vergeben hat. Insgesamt ist man in zwölf internationalen Forschungskonsortien vertreten. Bis dato ist ParityQC das einzige in dieser Art spezialisierte Unternehmen weltweit, das kommerziell und auf Lizenzbasis eine Quantenarchitektur – also eine bestimmte Art, Quantencomputer umzusetzen – anbietet. „Aufgrund unseres Geschäftsmodells können wir mit Partner:innen global zusammenarbeiten und dabei die Wertschöpfung in Europa halten“, sagt Lechner. Das Quanten-Start-up, das er gemeinsam mit Co-CEO Magdalena Hauser führt, schreibt bereits seit 2023 Gewinne.

In aller Kürze

Die Forschungsarbeit Wolfgang Lechners fokussiert auf neuartige Baupläne für Quantencomputer, die sich bei großen Rechenaufgaben leichter realisieren lassen als bisherige Ansätze. Anstatt viele Qubits – die kleinsten Informationsträger in Quantencomputern – miteinander zu koppeln, werden deren mathematisch beschriebene Wechselwirkungen genutzt, um Berechnungen auf quantenmechanischer Basis durchzuführen. Damit lassen sich komplexe Berechnungen mit deutlich geringerem technischen Aufwand realisieren als bei bisherigen Quantencomputern. Die neuartigen Quantenarchitekturen sind auch Gegenstand des Spin-offs ParityQC. Das Unternehmen arbeitet mit Hardwareentwickler:innen weltweit zusammen, um die Ergebnisse der Grundlagenforschung in die Praxis zu überführen.

Magdalena Hauser und Wolfgang Lechner auf roten Sesseln
Magdalena Hauser und Wolfgang Lechner haben ParityQC innerhalb weniger Jahre zu einer der profitabelsten Quantencomputerfirmen in Europa gemacht. © ParityQC
Illustration einer Chip-Architektur
Die Illustration veranschaulicht die ParityQC-Architektur auf einem Chip – basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die auch aus vom FWF geförderten Forschungsprojekten stammen. © ParityQC

„Aufgrund unseres Geschäftsmodells können wir mit Partner:innen global zusammenarbeiten und dabei die Wertschöpfung in Europa halten“

Leistungsfähige Quantensysteme stoßen an Komplexitätsgrenzen

Quantencomputer arbeiten grundsätzlich mit Qubits, also den quantenmechanischen Gegenstücken zu Bits in digitalen Rechensystemen. Anders als Bits können sie aber nicht nur die Werte Null oder Eins annehmen, sondern dank quantenmechanischer Überlagerung beide Zustände gleichzeitig. Gelingt es, eine große Anzahl von Qubits kontrolliert zu verschränken, können extrem viele Rechenwege parallel stattfinden und die Leistung der Quantencomputer steigt weit über das Potenzial konventioneller Systeme hinaus. Doch so weit ist die Technologie noch nicht. Qubits können zwar auf verschiedene Weisen physikalisch umgesetzt werden – etwa als supraleitende Systeme mit ihren widerstandslos fließenden Strömen; als Ionenfallen, in denen die Teilchen von Magnetfeldern festgehalten werden; oder in photonischen Quantensystemen, in denen Lichtteilchen zum Informationsträger werden. Jedoch gelingt es noch nicht, die erforderliche Menge an Qubits gezielt, kontrolliert und fehlerfrei zu verschränken, um große Rechenaufgaben zu lösen. Die technische Komplexität steigt mit zunehmender Qubit-Zahl rasant an und stellt die Forschung vor erhebliche Hürden.

Die Quantenarchitektur, an der Lechner und sein Team bei ParityQC arbeiten, umgeht dieses Problem dagegen auf ganz grundsätzliche Weise. Nicht die Anzahl der Qubits steht im Fokus, sondern die Wechselwirkungen zwischen ihnen. Diese Wechselwirkungen müssen nicht mehr tatsächlich physikalisch realisiert werden, sondern werden mathematisch beschrieben und in sogenannte Paritätsbedingungen übersetzt, also Regeln, die lokal in der Hardware umgesetzt werden können. Das Problem wird also in eine Form gebracht, in der keine große Anzahl an Qubits gleichzeitig kontrolliert werden müssen. Sehr vereinfacht gesagt: Man gaukelt dem Qubit komplexe Wechselwirkungen mit anderen Qubits vor, die tatsächlich aber nicht physikalisch stattfinden müssen. 

Schon vor der folgenreichen Nacht in Dänemark verfolgte Lechner gemeinsam mit seinen Innsbrucker Kollegen Philipp Hauke und Peter Zoller einen ähnlichen Ansatz, der Qubit-Wechselwirkungen physikalisch beschreiben sollte. Doch ein mathematischer Gegenbeweis beendete diesen Zugang vorerst. Sein Geistesblitz bestand schließlich in der „zündenden Idee, wie man die Qubits anordnen könnte, um doch noch ein konsistentes Ergebnis zu bekommen. Der ursprüngliche mathematische Beweis war also nicht so allgemein, wie ich gedacht hatte“, schilderte der Quantenforscher seinen Durchbruch in einem „Standard“-Beitrag.

Zur Person

Wolfgang Lechner ist Professor am Institut für Theoretische Physik an der Universität Innsbruck und Co-Geschäftsführer des Unternehmens ParityQC. Nach dem Studium der Physik an der Universität Wien führte ihn die Postdoc-Phase an die Universität Amsterdam und an das Institute for Quantum Optics and Quantum Information (IQOQI) in Innsbruck. Von 2013 bis 2016 leitete er dort das Forschungsprojekt „Ultrakalte Atome und Moleküle: Von der Defektdynamik zum Quantenglas“, das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wurde. Ab 2017 baute er mit den Mitteln eines FWF-START-Preises eine Forschungsgruppe auf. 2020 wurde er als Professor an das Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck berufen. Im selben Jahr gründete er das Universitäts-Spin-off ParityQC, das mit einer neuartigen Systemarchitektur für Quantencomputer ein Forschungsergebnis Lechners zur kommerziellen Anwendung macht.

NEC-Forscher:innen arbeiten am Bau eines Quanten-Annealing-Gerätes
Der japanische IT-Konzern NEC setzt auf den Quantencomputer-Bauplan der Innsbrucker Wissenschaftler:innen. Hier bauen NEC-Forschende ein Quanten-Annealing-Gerät der nächsten Generation. © NEC Coporation

Den Ideen aus der Grundlagenforschung folgen

Damals forschte Lechner noch im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts zu ultrakalten Atomen und Molekülen am Institute for Quantum Optics and Quantum Information (IQOQI) in Innsbruck – also zu einem Thema, das wenig mit Quantencomputern zu tun hatte. Doch in der Grundlagenforschung ist man gut beraten, guten Ideen zu folgen – egal, wo sie hinführen. Lechner verfolgte also seinen alternativen Quantencomputeransatz, verfasste eine Publikation und meldete schließlich ein Patent an – das auch durchaus Wellen schlug. Unter anderem gab es ein Angebot eines US-Konzerns für die Patentrechte. Doch der Wissenschaftler wollte die Technologie selbst weiterentwickeln und ab 2017 konnte er sich diesem Plan auch voll und ganz widmen. Seine Forschung wurde mit einem hoch dotierten START-Preis des Wissenschaftsfonds FWF gewürdigt. Im Projekt „ParityQC: Parity Constraints as a Quantum Computing Toolbox“ konnte er mit einem eigenen Team die Grundlagen des neuen Quantencomputer-Konzepts entwickeln.

Ursprünglich wurde der Ansatz Lechners im Kontext eines sogenannten Quantum-Annealing entwickelt – einer speziellen Art von Quantenrechnern, die auf die Lösung von Optimierungsaufgaben beschränkt sind. Man nutzt dabei das Phänomen, dass ein Quantensystem unter bestimmten Bedingungen automatisch einen Zustand mit der geringsten Energie anstrebt. Die Qubits suchen hier also selbst für sich ein energetisches Optimum, und diesen Vorgang kann man mit der Suche nach einer optimalen Lösung in einem Rechenproblem verknüpfen. Der erste Chip mit ParityQC-Architektur – jener von NEC aus 2023 – ist etwa ein 8-Bit-Quanten-Annealer, der per Cloud-Anwendung gesteuert werden kann.

Doch die Annealing-Variante soll nur ein erster Schritt sein. Lechner und Team sind überzeugt, dass sich auch universelle Quantencomputer auf Basis des ParityQC-Ansatzes realisieren lassen – also jene Art Rechner, die bisher auf vielen verschränkten Qubits basieren und verschiedenste Arten von Quantenalgorithmen umsetzen können. Forschungskooperationen mit Hardwarehersteller:innen gibt es bereits. In wenigen Jahren könnte die Technologie praxistauglich sein. Das Potenzial ist jedenfalls enorm. Wird es ausgeschöpft, könnte ParityQC eine Schlüsselrolle in der europäischen und globalen Umsetzung von Quantencomputing einnehmen.

Wirtschaftliche Chancen der Quantenwissenschaften nutzen

Die Erfolgsgeschichte von ParityQCs Quantenarchitektur führt exemplarisch vor Augen, wie nah im disruptiven Umfeld der Quantenwissenschaften Grundlagenforschung und kommerzielle Praxistauglichkeit beieinanderliegen können. Die rasante Entwicklung des Ansatzes, der zur Gänze aus Forschungsprojekten der Grundlagenforschung hervorgegangen ist, steht beispielhaft für das wirtschaftliche Potenzial der Quantenwissenschaften in Österreich – einem Land, das in diesem Forschungsfeld traditionell stark ist und von Erwin Schrödinger bis Anton Zeilinger bereits mehrere Nobelpreisträger hervorgebracht hat. Ein noch junger Exzellenzcluster des Wissenschaftsfonds FWF, Quantum Science Austria, schließt aktuell an diese Tradition an.

Der Ausbau des Ökosystems der heimischen Quantenwissenschaften macht das Technologiesegment sichtbarer, hält heimische Talente im Land und zieht neue an. Gleichzeitig erhöht er die Leistung des heimischen Innovationsmotors, der die Wirtschaft in einem von Hightech geprägten Industrieland antreibt. Doch noch ist viel zu tun. „Die große Gefahr ist, dass in Europa viel entwickelt wird, die Wertschöpfung aber woanders passiert“, formuliert es Lechner im „Standard“. Er fordert Strategien, um neben einer exzellenten Grundlagenforschung auch die Entwicklung und Kommerzialisierung von Produkten und Anwendungen in Europa zu halten. Mit seinem Unternehmen ParityQC zeigt er vor, wie das geht.

(Video-Credit: ParityQC: Sie arbeiten am massentauglichen Quantencomputer!, FFG)

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