Den Archäologiepark von Velia in Süditalien betritt man heute noch wie die einstigen Bewohner:innen der antiken Hafenstadt – durch das südliche Stadttor Porta Marina. Den Zugang dominieren mächtige Stadtmauern, deren älteste Abschnitte aus der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. stammen. Der Weg führt vorbei an römischen wie griechischen Thermen sowie dem Heiligtum des Asklepios – des Gottes der Heilkunst. Schließlich erreicht man die Porta Rosa, ein Tor aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., das die Verbindung in den nördlichen Stadtteil darstellte. Danach gelangt man zum Hügel der Akropolis, auf dem sich der älteste Teil der Stadt erstreckte. Heute dominiert eine mittelalterliche Burg die Szene – und wie einst der Ausblick auf das Tyrrhenische Meer.
Würde man die Geschichte der mediterranen Antike an einem Platz verdichten wollen, käme ein Ort wie Velia heraus. Einst unter dem Namen Elea von Griechen gegründet, später römisch geprägt und mittelalterlich überformt, zeigt die Stätte eine Vielschichtigkeit, die die Zivilisationsgeschichte des Mittelmeerraums über Jahrtausende hinweg greifbar macht. Die Ausgrabungsgeschichte und die Entwicklung des modernen Archäologieparks in Velia sind hingegen eng mit einem Land verbunden, das zu antiken Zeiten eher als Randbezirk galt – Österreich.
Seit Anfang der 1970er-Jahre arbeiten hier – auch dank maßgeblicher Unterstützung durch den Wissenschaftsfonds FWF – Generationen von Wissenschaftler:innen der Universitäten Innsbruck und Wien im Zuge von insgesamt 50 Grabungskampagnen an einer systematischen Erforschung der antiken Stadt. Zuletzt war der Name Verena Gassner untrennbar mit Velia verbunden. Als a. o. Professorin am Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien leitete sie Grabungskampagnen und wissenschaftliche Aufarbeitungen seit dem Jahr 2002. Damit prägte sie das umfassende Bild, das wir heute von der antiken Stadt haben, maßgeblich mit.
Positive Auswirkungen für Wirtschaft und Tourismus
Diese über ein halbes Jahrhundert währende Tätigkeit der österreichischen Forschenden in Velia ist wichtig für die Archäologie, aber auch weit darüber hinaus von großer Bedeutung. Die heimischen Wissenschaftsinstitutionen profitierten durch die Möglichkeit, akademischen Nachwuchs direkt bei den Grabungen an einer Stadt der griechisch-römischen Antike auszubilden. Es entstanden internationale Forschungskooperationen, von denen Österreichs Archäologie bis heute profitiert.
Gleichzeitig trugen die Projekte in Velia zur Vermittlung von Wissen über die Welt der Antike in einer breiteren Öffentlichkeit bei. Unter anderem wurde durch die Arbeit der österreichischen Archäolog:innen gemeinsam mit ihren italienischen Kolleg:innen das Erlangen des UNESCO-Welterbe-Status unterstützt und die Entwicklung des modernen Archäologieparks in den 1990er-Jahren begleitet. Heute zieht die süditalienische Ausgrabungsstätte jährlich rund 50.000 Besucher:innen an, schafft Arbeitsplätze und stärkt die lokale Wirtschaft.
Die Odyssee der Phokäer
Die Jahrzehnte währende Arbeit der Archäolog:innen förderte vielfältige Details einer Geschichte zutage, die bereits vor über 2.500 Jahren ihren Ausgang nahm. Damals vertrieben die Perser die
griechische Bevölkerung der Stadt Phokaia in Kleinasien. Herodot berichtet, dass ihre Odyssee durch das Mittelmeer sie erst nach Korsika führte. Doch nach Konflikten mit Etruskern und Karthagern landeten sie bald im heutigen Kampanien in Süditalien, wo sie an einer Bucht die Stadt Elea gründeten. Die Stadt wuchs schnell und konnte sich als lokales Handelszentrum behaupten. Gleichzeitig war sie Heimat bedeutender Philosophen wie Zenon oder Parmenides. Letzterem wird auch das Verfassen „guter Gesetze“ nachgesagt, die die Stadt siegreich aus Konflikten hervorgehen ließ.
Im 3. Jahrhundert v. Chr. gingen die Eleaten ein Bündnis mit Rom ein, dem sie auch im Ersten Punischen Krieg zu Hilfe kamen. Im Jahr 88 v. Chr. wurde die Stadt schließlich unter dem Namen Velia Teil des antiken Reichs. Ihre Thermenanlagen, die sowohl aus griechischer als auch aus römischer Zeit stammen, machen die These plausibel, dass Velia in dieser Zeit zum Erholungsort wohlhabender Römer wurde. Der Niedergang der Stadt setzte schließlich mit der Verlandung des Hafens und der einhergehenden Versumpfung des Umlandes ein. Eine mittelalterliche Überprägung veränderte den Charakter des antiken Handelszentrums grundlegend.