Arme, Beine oder sogar Teile des Herzens nachwachsen lassen – fĂŒr den Axolotl ist das selbstverstĂ€ndlich, fĂŒr uns Menschen dagegen unmöglich. Molekularbiologin Elly Tanaka erforscht die molekularen Grundlagen dieser erstaunlichen FĂ€higkeiten und hat dabei zentrale Prinzipien der Regeneration entdeckt. Ihre Erkenntnisse eröffnen Perspektiven, wie auch menschliche Zellen eines Tages verlorenes Gewebe ersetzen könnten.

Als 2016 mehrere Lastwagen am Vienna BioCenter vorfuhren, war schnell klar, dass dies kein gewöhnlicher Umzug war. In hunderten Wassertanks schwammen Axolotl, jene geheimnisvollen Salamander, die Arme, Beine, RĂŒckenmark und sogar Teile des Herzens nach einer Verletzung regenerieren können. Gemeinsam mit ihnen kam die Molekularbiologin Elly Tanaka aus Dresden nach Wien, damals an das Forschungsinstitut fĂŒr Molekulare Pathologie (IMP). „Diese Tiere sind nicht nur mein Modellsystem, sie sind der SchlĂŒssel zu einer grundlegenden Frage der Biologie: Warum können Axolotl Körperteile nachwachsen lassen, und wir Menschen nicht?“ , so Elly Tanaka.

Diese Frage ist jahrhundertealt: Schon 1768 beobachtete der italienische Naturforscher Lazzaro Spallanzani, dass die Beine und SchwĂ€nze von Salamandern nach einer Verletzung nachwachsen. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts beschĂ€ftigten sich Wissenschaftler:innen mit der Frage, wie genau diese Regeneration vonstattengeht. In der Zwischenkriegszeit, als die experimentelle Entwicklungsbiologie eine HochblĂŒte erlebte, wurden auch der Axolotl und seine Regeneration intensiv beforscht. Doch die systematische Untersuchung blieb lange schwierig: Die Tiere waren schwer zu halten und sie vermehrten sich nur langsam, spĂ€ter fehlten genetische Werkzeuge.

In aller KĂŒrze

Elly Tanaka entschlĂŒsselte mit dem Axolotl zentrale Prinzipien der Regeneration. Sie entdeckte das lange gesuchte „PositionsgedĂ€chtnis“, mithilfe dessen Zellen in Arm und Bein wissen, welchen Teil sie erneuern mĂŒssen. Parallel dazu erforscht ihr Team, wie Gehirn und Herz des Axolotls nach Verletzungen wieder funktionsfĂ€hig werden. Damit öffnet Tanakas Arbeit den Weg zu einem tieferen VerstĂ€ndnis der Regeneration und zu neuen Perspektiven fĂŒr die Medizin.

Elly Tanaka mit ihrem Science Award im Arm vor einer GrĂŒnflĂ€che im Arkadenhof des Rathauses
Elly Tanaka ist eine international fĂŒhrende Expertin auf dem Gebiet der Regeneration komplexer Körperstrukturen. 2025 erhĂ€lt sie den FWF-Wittgenstein-Preis fĂŒr ihre bahnbrechenden Erkenntnisse. © FWF/Der KnopfdrĂŒcker
Ein Axolotl auf schwarzem Hintergrund
Arme, Beine oder sogar Teile des Herzens nachwachsen lassen – fĂŒr den Axolotl ist das selbstverstĂ€ndlich, fĂŒr uns Menschen dagegen unmöglich. © IMP/IMBA

AnfÀnge und erste Methoden

Als Elly Tanaka in den spĂ€ten 1990er-Jahren zur Regenerationsbiologie fand, galt das Feld als verstaubt. Doch fĂŒr Tanaka war das ein Anreiz: „Es gab viele offene Fragen, aber kaum jemand arbeitete noch daran.“ Sie sah eine Chance, den Axolotl mithilfe von molekularbiologischen Werkzeugen, die es fĂŒr andere Modellorganismen wie Fliege und Maus bereits gab, fĂŒr den Axolotl aber noch nicht, fĂŒr die Forschung zugĂ€nglich zu machen.

WĂ€hrend ihrer Promotion hatte Tanaka untersucht, wie sich Nervenzellen in Froschembryonen verdrahten. Von Froschembryonen war eine rĂ€tselhafte Eigenschaft bekannt: Wenn man eine einzelne Zelle aus dem frĂŒhen Embryo entnimmt, kann sich daraus der ganze Frosch entwickeln. „Mich faszinierte schon immer, wie ein einzelnes Teil eines Tieres die Information enthalten kann, um einen ganzen Organismus aufzubauen oder ein fehlendes Teil zu ersetzen“, reflektiert Tanaka.

Ihr Postdoc bei Jeremy Brockes in London fĂŒhrte sie dann zur Regeneration – allerdings unter schwierigen Bedingungen. An einer Salamanderart konnte das Labor Regenerationsexperimente durchfĂŒhren, aber es gab keine Möglichkeit, stabile Kolonien dieser Art aufzubauen oder die Tiere genetisch zu manipulieren. „Meine Laborkolleg:innen fingen die Salamander fĂŒr ihre Forschung in der freien Wildbahn“, erinnert sich Tanaka. „Ehrlicherweise war mir das zu mĂŒhsam und langwierig, also arbeitete ich an Zellkulturen, nicht am Tier.“

Dieses logistische Problem fĂŒhrte zu ihrer wegweisenden Entscheidung: In ihrem ersten eigenen Labor in Dresden, das sie 1999 startete, setzte Tanaka auf den Axolotl. Anders als wilde Salamander gab es eine seit den 1950er-Jahren bestehende Axolotl-Kolonie in den USA, aus der sie Tiere fĂŒr ihr Labor bestellen konnte. Auch andere Labore arbeiteten mit dem Axolotl, an dem schon klassische Regenerations-Experimente durchgefĂŒhrt worden waren und der mit einer kĂŒrzeren Generationszeit besser geeignet fĂŒr genetische Manipulation wĂ€re.

Tanakas erstes Projekt: die Regeneration des Schwanzes. Der war flach und damit geeignet fĂŒr Live-Imaging, mikroskopische Untersuchungen am lebenden Tier – eine Methode, die sie aus ihrer PhD-Zeit mitbrachte. Gemeinsam begannen Tanaka und ihre erste PhD-Studentin, Karen Echeverri, zu experimentieren – und vor allem zu improvisieren. Sie wollten beobachten, welche Zellen im regenerierenden Schwanz zur Regeneration beitragen und wie sie das tun.

 

Zur Person

Elly Tanaka leitet seit 2024 das IMBA – Institut fĂŒr Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Von 2016 bis 2024 war sie Gruppenleiterin am benachbarten Forschungsinstitut fĂŒr Molekulare Pathologie am Vienna BioCenter. Vor ihrer Zeit in Wien forschte Elly Tanaka von 2008 bis 2016 am DFG Center for Regenerative Therapies an der TU Dresden, dessen Direktorin sie von 2014 bis 2016 war. 1999 grĂŒndete sie am Max-Planck-Institut fĂŒr molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden ihr erstes Labor, wo sie bis 2008 forschte. Zu Tanakas wissenschaftlichen Auszeichnungen zĂ€hlen der Ernst-Schering-Preis, der Erwin-Schrödinger-Preis, der FEBS EMBO Women in Science Award, die Schleiden-Medaille sowie zwei Advanced Grants und ein Synergy Grant des EuropĂ€ischen Forschungsrates ERC. Sie ist gewĂ€hltes Mitglied der US National Academy of Sciences sowie wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der FWF unterstĂŒtzt Tanakas Forschung seit ihrer Ankunft in Wien, 2025 erhielt sie zudem den FWF-Wittgenstein-Preis.

„Mich faszinierte schon immer, wie ein einzelnes Teil eines Tieres die Information enthalten kann, um einen ganzen Organismus aufzubauen oder ein fehlendes Teil zu ersetzen“

ZunĂ€chst schleusten die Forscher:innen Farbstoffe in Muskelzellen ein, aber genau zu dieser Zeit kamen Methoden auf, das grĂŒn fluoreszierende Protein GFP als Markierung bestimmter Strukturen oder Gene zu verwenden. In improvisierten Experimenten montierten sie Rasierklingen an ein Elektrophorese-GerĂ€t und schleusten so erstmals GFP in Zellen des RĂŒckenmarks ein. Damit konnten sie ĂŒber lĂ€ngere ZeitrĂ€ume verfolgen, wie sich Zellen wĂ€hrend der Regeneration verhalten. „Diese Technik haben wir mit der Zeit verfeinert, und verwenden sie immer noch, um die Regeneration des RĂŒckenmarks zu untersuchen“, erklĂ€rt Tanaka.

Die Reaktionen auf ihre Arbeit waren gemischt. Manche hielten es fĂŒr revolutionĂ€r, Zellen wĂ€hrend der Regeneration zu verfolgen, andere kritisierten es als zu deskriptiv. „Es gab Leute, die wollten sofort das eine MolekĂŒl finden, das Regeneration antreibt. FĂŒr sie war es langweilig, dass wir ‚nur Zellen verfolgten‘.“ Tanaka aber blieb ihrem Ansatz treu: „Es gibt immer Zweifler. Doch: Um die Mechanismen der Regeneration zu begreifen, muss man erst verstehen, was wĂ€hrend der Regeneration passiert.“

Obwohl Tanaka der Einfachheit halber zunĂ€chst die Schwanzregeneration untersuchte, konnte sie sich nicht lange der Faszination der Regeneration von Armen und Beinen entziehen: „Arme und Beine sind kanonische Orte, um Regeneration zu untersuchen, an ihnen wurden viele klassische Experimente durchgefĂŒhrt. Sobald Karen Echeverri die Elektroporation im RĂŒckenmark zum Laufen gebracht hatte, wandte sie die Technik auch an Armen und Beinen an, um zu verstehen, welche Zelltypen hier zur Regeneration beitragen.“

Genomik und neue Technologien

Parallel dazu baute das Labor den molekularen Werkzeugkasten fĂŒr den Axolotl aus. „Exzellente Leute in meinem Labor trieben diese Arbeit an. Ji-Feng Fei, der jetzt sein eigenes Labor in China leitet, hatte ein wunderbares Talent, Methoden des Genome-Engineering fĂŒr den Axolotl zu entwickeln.“ Von klassischen SĂ€ugetiermethoden wie TALENs bis hin zur damals ganz neuen Genschere CRISPR/Cas9 entwickelte er damit Möglichkeiten, auch das Axolotl-Genom gezielt zu verĂ€ndern.

Doch lange Zeit stand die Axolotlforschung vor einer fast unĂŒberwindbaren HĂŒrde: Das Genom des Axolotls, das etwa 10-mal grĂ¶ĂŸer ist als das des Menschen, war nicht vollstĂ€ndig entziffert. Und wenn der „Genomtext“ nicht genau bekannt ist, ist es schwierig, ihn zu verĂ€ndern. Mit Kolleg:innen in Dresden machte sich die Tanaka-Gruppe an die Arbeit, das schier endlose Axolotlgenom zu entschlĂŒsseln. Kein leichtes Unterfangen, denn das Axolotl-Genom steckt voller sich stĂ€ndig wiederholender Abschnitte – wie ein riesiges Puzzle, bei dem viele Teile fast gleich aussehen. Die Sortierung dieser Daten war so komplex, dass Bioinformatiker:innen erst neue Methoden entwickeln mussten, um diese Aufgabe zu bewĂ€ltigen. Der Triumph kam 2018, als das vollstĂ€ndige Genom schließlich vorlag. „Nun konnten wir das Axolotl-Genom exakt editieren“, betont Tanaka.

Zugleich wurde dank des vollstĂ€ndigen Genoms deutlich, wie Chromatin-VerĂ€nderungen und Histon-Markierungen die Regeneration steuern. „Noch 2024 veröffentlichten wir Erkenntnisse, die auf der Genomsequenzierung basieren, nĂ€mlich dass in Zellen an unterschiedlichen Stellen des Beins das Chromatin schon vor der Regeneration unterschiedlich ist: Diese Chromatin-Struktur fungiert als Postleitzahl, die den Zellen mitteilt, wo sie sind und welche Struktur von Arm oder Bein sie nachwachsen lassen sollen.“

Mit dem neuen Fokus auf das Genom und die Genom-Editierung fiel auch die Entscheidung, nach Wien zu ĂŒbersiedeln. „WĂ€hrend in Dresden die Zellbiologie im Fokus stand, war es in Wien die Genomik – und damit hatten wir das perfekte Umfeld, um mithilfe der Genomik die Regeneration tiefer zu verstehen. Obwohl wir schon in Dresden transgene Axolotl-Linien entwickelt hatten, explodierte dieses Gebiet mit unserem Umzug nach Wien: Mittlerweile haben wir ĂŒber 300 transgene Axolotl-Linien in unserer Kolonie, um unterschiedlichste Bereiche der Regeneration zu untersuchen.“

Elly Tanaka leitet das IMBA – Institut fĂŒr Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Zu Tanakas wissenschaftlichen Auszeichnungen zĂ€hlen der Ernst-Schering-Preis, der Erwin-Schrödinger-Preis, die Schleiden-Medaille sowie zwei Advanced Grants und ein Synergy Grant des ERC. Der FWF unterstĂŒtzt Tanakas Forschung seit ihrer Ankunft in Wien.

DurchbrĂŒche

Tanaka und ihrer Forschungsgruppe gelangen dank der neuen Methoden einige DurchbrĂŒche. ZunĂ€chst konnten sie 2009 eine SchlĂŒsselfrage der Regeneration klĂ€ren, nĂ€mlich die, woher die regenerierenden Zellen ĂŒberhaupt stammen. Denn beim Axolotl wird eine Wunde zunĂ€chst von einer Zellschicht, dem Blastem, ĂŒberzogen, danach erst bilden sich der neue Arm oder das neue Bein. Doch aus welchen Zellen besteht das Blastem?

Eine frĂŒhere Annahme war, dass Zellen sich vollstĂ€ndig zu einem embryonalen Zustand zurĂŒckprogrammieren mĂŒssen, um ein Körperteil neu zu bilden. Tanakas Forschung zeigte jedoch, dass die meisten Zellen im Verlauf der Regeneration ihre ursprĂŒngliche IdentitĂ€t behalten – Muskel bleibt Muskel, Knochen bleibt Knochen. Damit war klar: Das Prinzip der Axolotl-Regeneration unterscheidet sich von dem einer völligen „RĂŒckprogrammierung“.

Der nĂ€chste große Schritt war 2018 die Identifizierung der eigentlichen TrĂ€ger des Bauplans. Tanaka gelang es erstmals, zu zeigen, dass im Umkreis von 500 Mikrometern von der Verletzung eine Gruppe an Bindegewebszellen, die Fibroblasten, alle ihre Zelleigenschaften verlieren und das Blastem aufbauen. „Wir konnten damit zum ersten Mal molekularbiologisch zeigen, dass in den Armen und Beinen des Axolotls keine ‚reservierten‘ Stammzellen sitzen, die nur darauf warten, nach einer Verletzung zur Regeneration des Gewebes beizutragen.“

Diese Erkenntnis war auch wichtig in Hinblick auf die Regeneration von SĂ€ugetieren wie dem Menschen: Wenn der Axolotl spezialisierte Stammzellen fĂŒr die Regeneration nutzt, die aber in SĂ€ugetieren nicht vorhanden sind, wĂ€re dieser Mechanismus fĂŒr den Menschen keine Option. So aber wagte Tanaka den Vergleich zwischen Axolotl und Frosch, denn im Gegensatz zum Axolotl kann der erwachsene Frosch nach Verletzungen nicht regenerieren. „Wir wollten herausfinden, ob es daran liegt, dass die SchlĂŒsselzellen – die Fibroblasten – beim Frosch nicht vollstĂ€ndig dedifferenzieren“, erklĂ€rt Tanaka. TatsĂ€chlich war dies der Fall. „Das ist interessant, denn nun möchten wir verstehen, wie wir SĂ€ugetierzellen – die diese Dedifferenzierung ebenfalls nicht schaffen – dazu bringen können, diesen Schritt zu bewĂ€ltigen.“

Doch eine entscheidende Frage blieb: Wie wissen die Zellen, welches Körperteil sie wieder aufbauen sollen? Wenn der Axolotl seinen Arm an der Schulter verliert, wÀchst der gesamte Arm nach, aber wenn er die Hand verliert, wÀchst nur die Hand nach. Die Antwort liegt in der epigenetischen Signatur der Fibroblasten: Chromatin-Muster verraten ihnen ihre Position im Körper, wie Tanaka und ihr Team 2024 zeigen konnten.

Schließlich gelang dem Team 2025 eine der wichtigsten Entdeckungen, nĂ€mlich wie sich Zellen an ihre Position „erinnern“. Eine SchlĂŒsselrolle nimmt das Gen Hand2 ein. Dieses Gen ist an der Seite des Arms oder Beins aktiv, wo der kleine Finger nachwĂ€chst. Nach einer Verletzung fĂ€hrt Hand2 die Regeneration hoch: Es aktiviert Signale an der Daumenseite und der Kleine-Finger-Seite, diese weisen die Zellen an, wie sie wachsen und die wiederhergestellte Arme und Beine formen sollen.

Überraschenderweise wirkt Hand2 nicht nur vorĂŒbergehend: Es ist bereits vor einer Verletzung in den Bindegewebszellen der hinteren Arm- oder BeinhĂ€lfte auf niedrigem Niveau aktiv, aber nicht auf der vorderen Seite, und bildet somit das lange gesuchte „PositionsgedĂ€chtnis“.

Elly Tanaka im Labor hinter einem Terrarium mit einem Axolotl
Neue Perspektiven fĂŒr die Medizin: Elly Tanaka entschlĂŒsselte mit dem Axolotl zentrale Prinzipien der Regeneration. © Johannes Hloch

Gegenwart und Zukunft

Heute untersucht Tanakas Labor nicht nur Arme und Beine, sondern auch viele andere Organe. An den ĂŒber 300 transgenen Linien werden Leber, Herz, Gehirn und Retina erforscht. Ermöglicht wurde diese Erweiterung ihrer Forschung auch durch Förderungen des FWF, zuletzt erhielt Elly Tanaka den Wittgenstein-Preis 2025.

„Uns interessiert vor allem die Frage der Zellkompetenz“, erklĂ€rt Tanaka. „Was befĂ€higt eine differenzierte Zelle dazu, sich wieder zu regenerieren?“ Im Bein konnte ihre Gruppe zeigen, dass aus Fibroblasten Stammzellen werden. Im Herz wiederum gelang ihnen der Nachweis, dass Herzmuskelzellen – von denen man lange annahm, sie könnten sich im erwachsenen Tier nicht mehr teilen – nach einer Verletzung wieder beginnen, sich zu teilen. FĂŒr den Menschen ist diese Erkenntnis von zentraler Bedeutung: Nach einem Herzinfarkt sterben im Herz große Mengen von Zellen ab, und das betroffene Gewebe verliert dauerhaft an Funktion. Nun möchte das Team die Signale entschlĂŒsseln, die die Herzregeneration antreiben und steuern.

Auch in der Retina erforscht die Tanaka-Gruppe, wie Nervenzellen auf Verletzungen reagieren und wie sich diese FĂ€higkeit mit dem Alter Ă€ndert. Dem Team gelang es bereits, menschliche embryonale Stammzellen in retinales Gewebe zu differenzieren, und zwar in das Pigmentepithel der Netzhaut. Mithilfe dieses Gewebes suchen sie nach Wirkstoffen, mit denen Defekte des Pigmentepithels repariert werden können, die unbehandelt zu Erblindung fĂŒhren.

Parallel dazu widmet sich die Gruppe einem weiteren neurowissenschaftlichen Schwerpunkt: der Regeneration des Gehirns. So adaptiert ihr Labor heute modernste Verfahren aus den Neurowissenschaften, etwa Whole-Brain-Imaging, um zu verstehen, wie sich neuronale Schaltkreise im Axolotl nach einer Verletzung neu verdrahten – und ob das Verhalten danach tatsĂ€chlich wiederhergestellt ist.

Eine weitere, grundlegende Frage treibt Tanaka um: Wie schafft es das erwachsene Tier, die richtigen Signale ĂŒber so große Gewebemengen und Distanzen zu koordinieren? „Im Embryo wirken diese Signale in kleinen Strukturen, im Erwachsenen ist alles viel grĂ¶ĂŸer. Wie funktioniert das?“ Erste Hinweise kommen wieder aus Tanakas ursprĂŒnglichem Gebiet, der Regeneration des Schwanzes. Wenn ein erwachsener Axolotl seinen Schwanz verliert, regeneriert er einen vollstĂ€ndigen Satz an Wirbeln, deren GrĂ¶ĂŸe prĂ€zise an die adulte Dimension angepasst ist. DafĂŒr nutzt der Axolotl vollkommen andere Mechanismen als wĂ€hrend der Embryonalentwicklung. „Aber wie bestimmt das Gewebe die korrekte GrĂ¶ĂŸe?“

Die Antwort darauf hat direkte Auswirkungen fĂŒr die Regenerationsmedizin: Denn wenn es gelingt, die Prinzipien zu verstehen, könnten sie bei menschlichen Stammzellen angewendet und Organoide entwickelt werden, die als Modelle fĂŒr die Regenerationsmedizin dienen.

Als Tanaka mit ihrer Forschung begann, dachte sie kaum an medizinische Anwendungen. „Mich haben die Grundlagen interessiert – und das tun sie immer noch.“ Heute jedoch wird immer deutlicher, wie stark ihre Arbeit auch in medizinische Kontexte hineinwirkt. „Wir möchten Organoide zĂŒchten und an ihnen die Regeneration von Arm und Bein im menschlichen System erforschen und idealerweise gezielt beeinflussen.“

Aus improvisierten Experimenten mit Rasierklingen und Farbstoffen entstand moderne Regenerationsforschung. Aus einem ungewöhnlichen Tier wurde ein Modell, das unser VerstĂ€ndnis des Axolotls verĂ€ndert – und vielleicht eines Tages auch die Medizin des Menschen.

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