Polizei in der Pandemiebekämpfung
Policing the Pandemic
Wissenschaftsdisziplinen
Rechtswissenschaften (20%); Soziologie (80%)
Keywords
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Policing,
Pandemic,
Rule of Law,
Socio-Legal Studies,
Organisational Sociology
Das rasche Auftreten der COVID-19-Pandemie und die daraufhin ergriffenen Maßnahmen waren ein immenser Einschnitt für die Routinen und Arbeitsweisen ganzer Gesellschaften. Die Notwendigkeit des sofortigen Handelns einer komplexen Gruppe von AkteurInnen z.B. Regierung, Ministerien, medizinisches Personal, Polizei, etc. brachten sowohl Befehlsketten und bestehende Kontrollsysteme, als auch Gesetzgebungsprozesse und deren praktische Umsetzung an ihre Grenzen. Trotz grundlegender Unterschiede im Verlauf der Pandemie in verschiedenen Ländern, war eine nahezu universelle Reaktion der Einsatz der Polizei als zentraler Akteur in der Pandemiebekämpfung. In vielerlei Hinsicht lässt sich im Kontext der COVID-19-Pandemie von dem ersten globalen Polizeiereignis sprechen. Die schnelle Mobilisierung der Polizei war allerdings auch mit einer Reihe von erheblichen Herausforderungen verbunden. Die übereilte Umsetzung von Gegenmaßnahmen führte zeitweise zur Verletzung von Grundrechten der BürgerInnen. Die mangelnde Präzision von Gesetzen und Rechtsverordnungen hat der Polizei einen ungewöhnlich großen Ermessensspielraum eingeräumt. Das heißt, dass PolizistInnen individueller entscheiden konnten, welche COVID-19 Maßnahmen, wie umzusetzen und zu sanktionieren sind. Dies führte zu Unsicherheit und Verwirrung der betroffenen BürgerInnen. Die zugewiesene Rolle der Polizei und die dadurch auftretenden Probleme, wie etwa Polizeiwillkür, werfen zudem die Frage auf ob die Polizei überhaupt Gesundheitskrisen wirksam bewältigen kann. Letztlich zeigt der Einsatz der Polizei bei der Bewältigung der aktuellen Pandemie möglicherweise Grenzen der demokratischen Handlungsmöglichkeiten selbst auf. Das POLIPA-Projekt umfasst eine breite Untersuchung der Befehlsketten, Kontrollmechanismen und insbesondere der Störung derselben in einer Pandemie. Denn sie bilden die Grundlage des Zusammenspiels von demokratischer Regierungsführung, Gesetzgebung und Polizeiarbeit. Die Studie beinhaltet die Untersuchung von Strategien und Kommunikation der Regierung, die Analyse von Gesetzgebungsprozessen, sowie die Untersuchung der internen Organisation der österreichischen Polizei im Kontext der Pandemiebekämpfung. Ein zentrales, übergreifendes Element dieses Ansatzes liegt in der Untersuchung der Interaktion zwischen (und innerhalb) dieser Bereiche im zeitlichen Verlauf - von den frühen Phasen der schnellen Reaktion bis hin zur fortschreitenden Normalisierung der Abläufe im weiteren Verlauf der Pandemie. Ein solche umfassende Analyse der Grenzen des demokratischen Handelns, die durch die Pandemie verursacht bzw. aufgedeckt wurden, ist der Schlüssel für jede mögliche Verbesserung der demokratischen Bewältigung zukünftiger Krisen.
Die Covidpandemie war gekennzeichnet durch viele kurzfristige rechtliche Vorgaben. Wenig präzise oder stark umstrittene Regulierungen machten der Polizei, die schließlich für deren Umsetzung zuständig war, das Leben schwer. Sie musste mit dem Stakkato immer neuer Rechtsnormen zurechtkommen, ohne bei ihrer Anwendung ein vernünftiges Augenmaß zu verlieren. Wie dieses Zusammenspiel aus Politik, Verwaltungsbehörden und polizeilicher Exekutive in der Ausnahmesituation von Corona gelang, untersuchen Forschende des Wiener Zentrums für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung (VICESSE) in dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt "Polizei in der Pandemiebekämpfung" (POLIPA). Politik, Verwaltung und Polizei sind das Steuerungsinstrumentarium eines demokratischen Rechtsstaats. Das POLIPA-Projekt interessierte sich dafür, wie dieses Instrumentarium angesichts einer realen Krise, in der der Staatsapparat schnell reagieren musste, im Detail funktioniert hat. Denn offensichtlich hat die Pandemie nicht nur Schwächen in der Bewältigung von Ausnahmesituationen aufgezeigt, sondern auch, dass die Grenzen eines demokratisch legitimierten Handelns sehr schnell erreicht sein können. Erlässe sind eigentlich Verwaltungsvorschriften, die sich an eine nachgeordnete Behörde richten. Gemeinsam mit Verordnungen, die ebenfalls von Verwaltungsbehörden erlassen werden, waren sie die zentralen Mittel der Bundesministerien, um in der Pandemiebekämpfung schnell zu reagieren. Für tatsächliche Gesetze wäre dagegen immer auch ein Nationalratsbeschluss nötig gewesen. Der Output der Ministerien an Erlässen und Verordnungen war enorm und führte in einigen Fällen zur Verletzung von Grundrechten. Wir haben versucht, die Dynamik zu rekonstruieren, die durch diese Art der Pandemiesteuerung ausgelöst wurde. Im Projekt wurden verfügbare Rechtsakten sowie eine Vielzahl an Medienberichten der Coronajahre analysiert und anhand einer Timeline den Pandemieverlauf aus rechtlicher und administrativer Sicht rekonstruiert. Die Forschenden führten Dutzende Interviews mit Angehörigen von Polizei, Rotem Kreuz sowie mit Vertreter:innen von Landes- und Bundesverwaltung. Durch Fokusgruppengespräche vertiefte man die Befragungen mit dem Ziel Praxiseinblicke in das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Behörden in den Pandemiejahren zu generieren. Ein Ergebnis der Untersuchung ist, dass die Polizei durchaus selbst Probleme hatte, die in der Pandemie begründet waren. Die Polarisierung der Bevölkerung betreffend den Impfstatus machte auch nicht vor den Polizeiinspektionen halt. Gleichzeitig war es für die Polizei als ein in seinen Routinen eingespielter Apparat durchaus schwierig, schnell in einen Krisenmodus zu wechseln, der von beinahe täglich neuen Regelungen geprägt war. Die Vorstellungen der Politik und die Möglichkeiten der Polizei lagen zum Teil weit auseinander. Das ging so weit, dass übergeordnete Instanzen die Erlässe gar nicht mehr an die Dienststellen weiterreichten, um die Beamten nicht noch mehr zu verunsichern. Bei vielen Beamten bildete sich ein Selbstverständnis heraus, wonach man den Dienst verstärkt nach eigenen Vorstellungen und "mit Augenmaß und Hausverstand" absolvieren müsse. Die unklare Situation bescherte den Beamt:innen einen ungewöhnlich großen Ermessensspielraum. Vorschrift und pragmatische, an Erfordernisse vor Ort angepasste Handlungen drifteten teilweise weiter auseinander.
- Vienna Centre for Societal Security (VICESSE) - 100%
Research Output
- 3 Publikationen
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2023
Titel Von den üblichen Verdächtigen und pandemischen Überschüssen. Der zweite Code der Polizei in der Pandemie; In: Gesellschaft. Kritik. Ironie. Typ Book Chapter Autor Herbinger Pl Verlag LIT Verlag Seiten 121-138 -
2021
Titel Policing in Times of the Pandemic Typ Journal Article Autor Herbinger P Journal European Law Enforcement Research Bulletin Link Publikation -
2021
Titel Polizieren der Pandemie als Mehrebenen-Problem DOI 10.5771/0934-9200-2021-4-437 Typ Journal Article Autor Adensamer A Journal Neue Kriminalpolitik