Geschlechterforschung im Aufwind
Die Gabriele-Possanner-Preise werden seit 1997 alle zwei Jahre vergeben, um die erste Verleihung eines akademischen Grades an eine Frau durch eine österreichische Universität zu ehren. Possanner promovierte 1897 im Fach Medizin. Die Verleihung des diesjährigen Preises fand im Rahmen des Tags der Geschlechterforschung statt, der vom BMBWF im Jahr 2021 ins Leben gerufen worden war. Darüber hinaus gab es Förderpreise, einen Würdigungspreis für ein Lebenswerk sowie zahlreiche Aktivitäten von Hochschulen und Forschungsstätten, um die Geschlechterforschung und die dahinterstehenden Personen sichtbarer zu machen.
Relevanz von Geschlechterforschung
Geschlechterforschung ist entstanden, weil sich Forschung historisch gesehen oft einseitig mit der Geschichte, dem Leben und dem Körper von Männern beschäftigt hat. Der Mann galt lange Zeit als Modell für die gesamte Menschheit, und dieses Prinzip galt auch in der Wissenschaft. Historisch betrachtet ist die Wissenschaft (vor allem die Naturwissenschaften) ein männlich dominiertes Feld, daher werden wissenschaftliche Tätigkeiten – vor allem in technischen Bereichen – nach wie vor in erster Linie mit Männern in Verbindung gebracht. Eine Ursache für die Unterrepräsentation von Frauen in Wissenschaft und Forschung ist unter anderem der eingeschränkte Zugang von Frauen zu Bildungs- und Forschungseinrichtungen, der in Form sexistischer Vorurteile auch wissenschaftlich legitimiert wurde und in einigen Regionen der Welt immer noch besteht. Sexismus, Diskriminierung und mangelnde Vereinbarkeitsmöglichkeiten tragen auch heute noch dazu bei, dass Frauen in manchen Bereichen der Gesellschaft und Wissenschaftsdisziplinen nicht ausgewogen vertreten sind.
Nobelpreis für feministische Ökonomie
In jüngster Zeit hat sich diese Einseitigkeit zugunsten einer ausgewogeneren Wissenschaft gewandelt, die den Anspruch erhebt, die gesellschaftliche Realität zu berücksichtigen. So erhielt die Ökonomin und Wirtschaftshistorikerin Claudia Goldin den diesjährigen Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften für ihre Untersuchung der Rolle von Frauen auf dem Arbeitsmarkt in den USA über einen Zeitraum von 200 Jahren. Ihre umfassende Analyse zeigt unter anderem, dass wirtschaftliche Aufschwünge nicht automatisch zu mehr Beschäftigung für Frauen führen und dass der Gender-Pay-Gap auf Unterschiede in der Arbeitszeitverteilung und Diskriminierung am Arbeitsplatz zurückzuführen ist. Ihre Forschung hat bahnbrechende Erkenntnisse für die Wirtschaftswissenschaften und die Geschlechterforschung geliefert, die auch über den US-amerikanischen Kontext hinaus von großer Relevanz sind. So konnte sie nachweisen, dass „blind auditions“ die Einstellungschancen von Musikerinnen erhöhen. Mit der Auszeichnung unterstreicht das Nobelpreiskomitee die Bedeutung der Geschlechterforschung und die Berücksichtigung von Geschlechts- und Genderaspekten in der Forschung.
Geschlechterforschung im FWF
Der FWF förderte zwischen 2017 und 2021 insgesamt 90 Projekte im Bereich der Geschlechterforschung, mit einer Bewilligungssumme von insgesamt 27,5 Millionen Euro. Außerdem beteiligte sich der FWF an einem EU-weiten Call – GENDER-NET Plus – zur Förderung von Geschlechterforschung und konnte damit fünf exzellente Forschungsprojekte fördern. Alle fünf Projekte beleuchten die geschlechtsspezifische Dimension zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen. Insgesamt wurden im Rahmen des „GENDER-NET Plus“-Projekts 13 Forschungsprojekte in den Bereichen Gesundheit und Medizin, Sozial- und Geisteswissenschaften finanziert.
Der FWF integriert die Anforderung einer geschlechtsspezifischen Reflexion des Forschungsinhaltes seit 2019 in allen Förderprogrammen und stellt dazu auch begleitende Informationen und Materialien auf der Website öffentlich zur Verfügung. Zusätzlich setzt der FWF innerhalb seiner Programme Maßnahmen im Bereich der Frauenförderung und Gleichstellung, mit dem Ziel einer erhöhten Beteiligung von Frauen an FWF-Projekten. Die Entwicklungen werden jährlich im Chancengleichheitsmonitoring veröffentlicht und dienen uns als Ausgangspunkt zur Weiterentwicklung von Maßnahmen. Bestehende Maßnahmen sind im FWF- Gleichstellungsplan beschrieben.