Die Entfesselung des versteckten Potentials anaerober Pilze
Unleashing the hidden potential of the anaerobic fungi
DACH: Österreich - Deutschland - Schweiz
Wissenschaftsdisziplinen
Biologie (80%); Umweltbiotechnologie (20%)
Keywords
-
Anaerobic Fungi,
Molecular Tools,
Bioinformatics,
Lignocellulose,
Continuous Cultivation,
Growth Requirements
Der Pansen der Wiederkäuer beherbergt eine Vielzahl von Mikroorganismen, die mithilfe ihres enzymatischen Potentials lignocellulosereiches Material verdaubar machen. Unter diesen Mikroorganismen findet sich eine ganz besondere Gruppe, die sogenannten anaeroben Pilze mit dem unaussprechlichen Namen Neocallimastigomycota. Diese Pilze leben unter Sauerstoffabschluss und produzieren eine ganze Reihe von Enzymen, die Lignocellulose spalten können. Die freiwerdenden Zucker können dann für verschiedenste biotechnologische Prozesse genutzt werden. Die enzymatische Aktivität wird auch noch durch sogenannte Appressorien unterstützt, Anhaftmechanismen, die es den Pilzen ermöglichen, mit hydraulischer Kraft in lignocellulosehaltiges Material wie zum Beispiel Stroh einzudringen. Die schwierige Kultivierung dieser Pilze hat schon viele Forscher frustriert. Man weiß über die Kultivierungsbedingungen noch zu wenig. Dennoch sehen Wissenschaftler ein sehr großes Potential, diese Pilze zur Nutzung von lignocellulosehaltigen Reststoffen (LCR) für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu verwenden. In diesem Projekt wird sich ein Konsortium aus Österreich (PI: Dr. Sabine Marie Podmirseg, Innsbruck), Deutschland (PI: Dr. Michael Lebuhn, Weihenstephan) und der Schweiz (PI: Prof. Urs Baier; Zürich) in enger Zusammenarbeit mit Forschungsgruppen in Großbritannien und der Tschechischen Republik darum bemühen, die Neocallimastigomycota zu zähmen. Das Ziel des Projektes ist es, die methodischen Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Hierzu setzt das Konsortium an der Basis an, ermittelt die essentiellen Wachstumsfaktoren für Neocallimastigomycota und entwickelt geeignete Kultivierungs- und Nachweismethoden und prüft schließlich ihren biotechnologischen Einsatz für den Aufschluss von LCR. Die Arbeitshypothesen sind dabei: dass (i) die Neocallimastigomycota sehr viel weiter verbreitet sind als bisher angenommen, (ii) bestimmte essentielle Mikronährstoffe für eine kontinuierliche Kultivierung erforderlich sind, (iii) eine Kultivierung auch ohne Pansensaft möglich ist und dass (iv) neue anaerobe Pilze nicht nur aus dem Rumen isoliert werden können. Das Projekt wird klassische mikrobiologische Methoden wie Mikroskopie, Kultivierung und Enzymologie mit molekularbiologischen (wie zum Beispiel Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung, quantitative PCR und verschiedene neue Sequenzierungstechniken) verbinden und die wissenschaftliche Basis für einen Einsatz der Neocallimastigomycota zur energetischen und stofflichen Nutzung von LCR liefern.
Mit einer weltweiten Produktion von mehr als 200 Millionen Tonnen ist lignocellulose-haltiger Abfall (insbesondere pflanzliche Biomasse) einer der am häufigsten vorkommenden Abfallströme. Die Umwandlung dieser Abfälle in erneuerbare Energie (z.B. Biogas) ist für die Verwirklichung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft von entscheidender Bedeutung. Leider ist der Abbau von Pflanzenmaterial, insbesondere in sauerstofffreien Umgebungen wie Biogasreaktoren, bekanntermaßen schwierig. Kühe und andere Pflanzenfresser wandeln jedoch seit jeher pflanzliche Biomasse effizient in Energie um. Wie? Nun, sie haben ein Ass im Darm: Neocallimastigomycota, eine spezielle Gruppe Pilze, die ausschließlich unter anoxischen (sauerstofffreien) Bedingungen gedeihen, sind Experten für die Zersetzung von Pflanzenmaterial. Trotz des Potentials dieser anaeroben Darmpilze (AGF) ist unser Verständnis über sie begrenzt. Das Wissen über ihre weltweite Verbreitung in Pflanzenfressern und Methoden zur kontinuierlichen Kultivierung sowie effektiven Detektion ist lückenhaft. Ein Team von Wissenschaftlern aus Österreich (Universität Innsbruck), Deutschland (LfL Freising, TU München, CeBiTec Bielefeld) und der Schweiz (ZHAW) wollte das ändern. Zusammen mit renommierten Forschern aus dem Vereinigten Königreich (IBERS) und der Tschechischen Republik (IAPG) hatte sich das "HiPoAF"-Team zum Ziel gesetzt, grundlegende Wissens- und Forschungslücken zu schließen, um schließlich das "hohe Potential anaerober Pilze" freizusetzen. Sie untersuchten und optimierten die Kultivierungsbedingungen, sowie wirksame Präservationsmethoden, optimierten bestehende und entwickelten ergänzend Nachweistechniken. Zu den wichtigsten Errungenschaften des Teams zählen ein standardisiertes Kultivierungs- und Präservierungsprotokoll, ein neuartiges AGF-spezifisches Primersystem, ein für die kontinuierliche AGF-Kultivierung optimiertes Reaktorsystem, eine globale Lebensraum-Studie zu den AGF und erste Erfolge bei der Entwicklung neuartiger Nachweistechniken (HCR-FISH, NIR Spektroskopie, Massenspektrometrie und droplet digital PCR). Zusätzlich zu seinen wissenschaftlichen Bemühungen engagierte sich das HiPoAF-Team aktiv im internationalen Anaerobic Fungi Network (www.anaerobicfungi.org), was zu einer Reihe erfolgreicher gemeinsamer Publikationen und der Anerkennung der AGF-Expertise auf internationaler Ebene führte. Mehrere nationale und internationale Kooperationen entstanden teilweise aufgrund der aktiven Öffentlichkeitsarbeit des HiPoAF-Teams, wie z. B. der Projekthomepage (https://www.hipoaf.com/home), einer Radiosendung und einem erheblichen Beitrag zur Organisation der ersten internationalen AGF Konferenz (IAFC2022). Das HiPoAF-Projekt priorisierte auch die Ausbildung von Studierenden und brachte vier Doktor-, sieben Master- und acht Bachelor-Arbeiten sowie sieben Praktika hervor. AGF spielen inzwischen eine wichtige Rolle in der Lehre an der Universität Innsbruck und der ZHAW. Ebenso sind sie vertreten im geplanten Science Center Mikromondo (https://www.mikrobalpina.org/en/), das bald in Österreich (nahe Innsbruck), errichtet werden soll. Während der unaussprechliche Name dieser faszinierenden Pilzgruppe den Besuchern dort vielleicht entfallen mag, werden sie das Potential von Neocallimastigomycota für eine nachhaltige Energieerzeugung sicherlich nicht vergessen. Nach dieser erfolgreichen Zusammenarbeit, die einige grundlegende Wissenslücken in der AGF-Forschung schloss, konnte das HiPoAF-Konsortium schließlich einen Schritt nach vorne machen und Mittel für ein inhaltlich ergänzendes Forschungsprojekt (www.hipoaf.com) akquirieren, das nun auf die Implementierung dieser vielversprechenden Biomasseabbauer in der Biogasproduktion aus lignozellulosehaltigen Abfällen abzielt.
- Universität Innsbruck - 100%
- Michael Lebuhn, Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) - Deutschland
- Urs Baier, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften - Schweiz
- Katerina Fliegerova, Academy of Sciences of the Czech Republic - Tschechien
- Gareth W. Griffith, Aberystwyth University - Vereinigtes Königreich
Research Output
- 179 Zitationen
- 28 Publikationen
- 2 Datasets & Models
- 1 Wissenschaftliche Auszeichnungen
- 3 Weitere Förderungen