Der Gesamtbiefwechsel Christine Lavants: Sammlung, EDV-Edition, Basis für eine Biographie
Christine Lavant: Correspondence
Wissenschaftsdisziplinen
Sprach- und Literaturwissenschaften (100%)
Keywords
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CHRISTINE LAVANT,
NEUGERMANISTISCHE EDITION,
BRIEFE,
BIOGRAPHIE,
EDV-EDITION,
ÖSTERREICHISCHE LITERATUR NACH 1945
Forschungsprojekt P 14110Christilne Lavant: GesamtbriefwechselWolfgang WIESMÜLLER24.01.2000 Die Briefe Christine Lavants (1915-1973) sind seit ihrem Tod bereits mehrmals in gedruckter Form Gegenstand öffentlichen Interesses gewesen, anfangs im populär-biographischen Bereich, später mit wissenschaftlich- editorischem Hintergrund. Briefe wurden in Auswahlausgaben mit aufgenommen; unter dem Gesichtspunkt ihrer literarischen Qualität gelten sie zu Recht als Teil des Werkes der Autorin. Da Christine Lavant keine Tagebücher oder andere persönliche Aufzeichnungen hinterlassen hat, sind ihre Briefe zentraler und fundamentaler Baustein jeder biographischen Beschäftigung mit der Dichterin. In Vorarbeiten, die durch Mag. Dr. Ursula Schneider und Dr. Annette Steinsiek M.A. durchgeführt wurden, wurden bereits knapp 1200 Briefe gesammelt und zum Teil transkribiert; bei systematischer Suche müßten noch viele weitere Briefkonvolute gefunden werden können. Da Christine Lavant selbst wenig Korrespondenzen aufbewahrte, haben sich in ihrem Nachlaß nur etwa 150 Briefe an sie erhalten. Die Briefe von Christine Lavant sind Korrespondenzen privater Natur, mit Schriftstellerkolleginnen sowie mit Verlagen und literarisch-künstlerisch tätigen Institutionen. Sie legen nicht nur Zeugnis ab vom Selbstverständnis als Dichterin, sondern zeugen auch in von ihr beschriebenen Phasen "dichterischen Verstummens" vom literarischen Umgang mit Sprache. Die Möglichkeiten des Mediums Brief, räumliche Entfernungen zu überbrücken, kommen in diesem Fall einer Person zugute, die durch körperliche Einschränkungen wenig beweglich war; es zeigt sich zudem, wie von einem Punkt der Provinz aus ein Netz an überregionalen Kontakten entstanden ist, das das Bild der literarischen und künstlerischen Zusammenhänge in Österreich erweitert. Nicht zuletzt sind die Briefe Christine Lavants ein unabdingbarer Referenzbereich für die Kommentierung ihrer Werke. Die Aufarbeitung in elektronischer Form erlaubt schnellen und aktuellen Zugriff (auch Anfragen anderer (Lavant-) ForscherInnen können so direkt beantwortet werden). Die Daten können jederzeit gebunden und auf eine CD gepreßt werden; allerdings sollte man dazu von der größtmöglichen Vollständigkeit ausgehen dürfen. Angestrebt wird auch die Publikation eines Auswahlbandes.
CL=Christine Lavant Zu Beginn des Projektes am 15.3.2000 lagen insgesamt 1196 Briefe von und an CL vor. Diese Briefe waren zumeist in institutionellem Besitz; bei Abschluß des Projektes am 31.3.2002 lag die Zahl der Briefe bei 1.860. Davon sind 920 von CL; diese sind zu etwa gleichen Teilen handschriftlich und maschinschriftlich; etwa 340 Briefe und Karten von ihr sind undatiert. In Archiven liegen 1220 Briefe, in Privatbesitz 640. Wir stellten insgesamt etwa 400 Anfragen um Briefe, ein Gutteil mit negativen Antworten, die, um in Zukunft Doppelanfragen zu vermeiden, ebenfalls verzeichnet werden. Bis Ende 2001 konnten alle Briefe transkribiert und in die Database eingearbeitet werden. Im Zuge des Neuantrags wurden ab Herbst 2001 die Editionsrichtlinien entworfen und praktisch erprobt. Die gewählte Methodik verfolgt das Ziel, folgende Kriterien miteinander zu verknüpfen: höchster wissenschaftlicher Anspruch - Eigenart des Materials - optimale Nutzung eines elektronischen Mediums - Pragmatik in Arbeitsablauf und Darstellung - Paradigmatik für elektronische Briefeditionen. Die EDV-Edition auf CD-Rom bietet die Möglichkeit von "Vordergrundtext" (Lesetext) und "verstecktem Text" (diakritisch aufbereiteter Text; indizierte Wortformen; kann mit Mausklick zugeschaltet werden). Die Briefe werden originalgetreu wiedergegeben, auf Normalisierungen wird verzichtet. Emendiert werden lediglich offensichtliche Verschreibungen und Versehen der SchreiberInnen, die zu Mißverständnissen führen könnten. Die CD-Rom wird bieten: CLs Briefe, textkritisch und -genetisch bearbeitet; die Gegenbriefe; interessante Drittbriefe; Faksimiles aller Briefe von CL ("virtuelles Archiv"); Lebensdokumente; Biographien der BriefpartnerInnen (es ist abzusehen, daß diese Kommentar-Abteilung der Edition für biographische und literaturwissenschaftliche bzw. kulturwissenschaftliche Forschungen zu Kärtnen und Österreich nach 1945 eine ergiebige und verläßliche Quelle bilden kann); Einzelstellenkommentar sowie Flächenkommentare (zu bestimmten Themen sowie zu den Überlieferungssituationen der verschiedenen Konvolute); eine Abteilung "Erinnerungen"; möglichst viele Photos, die CL und/oder ihre KorrespondenzpartnerInnen zeigen, sowie Abbildungen von Zeichnungen, die CL hergestellt hat und die uns ebenfalls erst über die Briefsuche bekannt wurden; eine umfassende quellenbezogene Chronik von CLs Leben. Frühester Brief ist ein Brief an eine Schulfreundin aus dem (erschlossenen) Jahr 1933 (diese Korrespondenz gibt wertvolle biographische Aufschlüsse über die Zeit, als die 16/17jährige Christl Thonhauser eine landwirtschaftliche Haushaltungsschule besuchte); der letzte Brief ist nicht ganz einen Monat vor Christine Lavants Tod (7.6.1973) geschrieben worden - sie mahnt ihren Verlag kurz und bestimmt, ihr eine geschuldete Summe zu überweisen. Aus den Jahren 1938-1945 liegt bis jetzt nur ein Schriftstück vor (Heiratsmitteilung). CL schreibt in einem Brief im Dezember 1945, daß sie in den letzten 10 Jahren praktisch keine Briefe verfaßt habe (und offenbar wohl auch keine Texte). Über die Suche nach Briefen konnten während der Laufzeit des Projekts auch für die "Kritische Werkausgabe Christine Lavants" Texte gefunden werden: u.a. zwei lange, bisher unbekannte Prosatexte (darunter die mittlerweile edierten "Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus") und zahlreiche, teilweise unbekannte Gedichte. Im Nachwort zu den "Aufzeichnungen" zeigten die Herausgeberinnen (die Mitarbeiterinnen dieses Projektes, Dr. Ursula A. Schneider und Dr. Annette Steinsiek) exemplarisch, welche Möglichkeiten der Kommentierung literarischer Werke CLs die Briefe eröffnen und welche Ansätze Lavant-ForscherInnen in Zukunft mit der Briefausgabe möglich sein können. Gedichte werden, so es sich um einzelne Beilagen handelt, im Briefwechsel mit veröffentlicht, da sich der entsprechende Brief durchaus als deren genuiner Kontext auffassen läßt. Bei den in die Datenbank eingearbeiteten Briefen zeigen sich mittlerweile diverse "Verdichtungszeiträume": für die 50er und 60erJahre gibt es eine verstärkte literarische Korrespondenz (Zeitschriften, Verlage, SchriftstellerInnen); intensive (Brief-)Freundschaften, die oft unterschiedliche "Themen" haben, wechseln einander ab; beobachtbar sind Phasen, in denen CL ihre literarische Präsenz förderte, und Phasen des Rückzugs, etwa in Zusammenhang mit familiären Problemen. Generell wird mit der Kenntnis der im Berichtszeitraum dazugewonnenen Briefe der Eindruck noch stärker, daß CL eben nicht - wie gerne verbreitet und offenbar auch gerne geglaubt wird - ihr Leben im Verborgenen verbrachte. Doch muß erst noch genauer erfaßt werden, wie sie in ihrem Leben Aktion und Rückzug verbunden hat bzw. in welchem Verhältnis diese zueinander gestanden sind. Wir erfahren durch die Briefe von ihren Reisen, von ihrer Teilnahme an Tagungen und anderen Treffen. Insgesamt erleben wir ein ausführliches, weitverzweigtes Kontaktnetz, das sie von St. Stefan aus über Sau- und Koralpe hinaus nach Israel, Island und Istanbul führt. Dabei zeigt sie sich oft auch als starke soziale Partnerin, die als Mitfühlende, Beratende, Kräftigende, gelegentlich Abgeklärte und Überlegene auftritt. Sie stellt im Kontext ihrer sozialen Kontakte Betrachtungen über Leben und Welt` an, und so werden die Briefe zu Fragmenten einer Anschauung, die sich je nach KorrespondenzpartnerIn eher im spirituellen, religiösen, philosophischen, psychologischen oder lebenspraktischen Blickfeld manifestiert. Es hat sich außerdem bewahrheitet, daß ihre Briefe markanter Bestandteil ihrer schriftstellerischen Produktion sind, sei es in ihrer literarischen Formung, sei es in den Äußerungen zu ihrem Schreiben und Werk.
- Universität Innsbruck - 100%
- Arno Russegger, Universität Klagenfurt , assoziierte:r Forschungspartner:in