Bücher am Bildschirm. Zur Digitalisierung des Lesens
Books on screen. The consequences of digital fiction reading
Wissenschaftsdisziplinen
Medien- und Kommunikationswissenschaften (30%); Sprach- und Literaturwissenschaften (70%)
Keywords
-
Digitalization,
Narrative Fiction,
Literary Experience,
E-Book,
Screen Reading,
Printed Book
Spätestens seit dem 18. Jahrhundert stützen sich Lesekultur und literarisches Feld auf die Kulturtechnik des konzentrierten, immersiven, sich über längere Phasen erstreckenden Lesens erzählender Texte. Dieses vertiefte Lesen (deep reading) wurde lange Zeit als die angemessene, gleichsam natürliche Form des Umgangs mit Romanen, Novellen und Erzählungen betrachtet. Auch wenn das deep reading nie die einzige Rezeptionsform von literarischen Texten darstellte, wurde und wird es auch in der Literaturwissenschaft als die einzig adäquate vorausgesetzt. Durch die zunehmende Verbreitung von E-Books und dem Lesen auf Bildschirmen scheint diese Selbstverständlichkeit in den letzten Jahren abhanden gekommen zu sein. Auch wenn sich die Zuwachsraten des E-Book-Verkaufs eingebremst haben, so wurden im Jahr 2017 laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Deutschland immerhin über 29 Millionen digitale Bücher verkauft. Im gesellschaftlichen Alltag wie in universitären Lehrveranstaltungen sind zunehmend LeserInnen mit E-Readern oder I-Pads wahrzunehmen. Und auch in den Schulen wird diskutiert, ob nicht der Einsatz von E-Books das gedruckte Buch ablösen sollte. Nach einer zentralen These kulturwissenschaftlicher ebenso wie kommunikationswissenschaftlicher Theoriebildung gehen unterschiedliche Lesemedien aber mit einem unterschiedlichen Leseverhalten und unterschiedlichen Leseerfahrungen einher. Régis Debray formuliert pointiert: Die Historiker des Geschriebenen wissen [], dass die Geschichte der Zeichen mit der Geschichte der Materialien beginnt. [] Es gibt keine unschuldigen Träger, jedes Material fordert seinen Preis.1 Dieses Forschungsprojekt möchte nun der Frage nachgehen, wie sich die literarische Erfahrung verändert, wenn Texte nicht mehr in Buchform sondern auf einem Bildschirm gelesen werden. Konkret geht es dabei um Texte der erzählenden Literatur unterschiedlicher Komplexitätsgrade. Wie die Leseforschung festgestellt hat, lässt sich ein so vielschichtiges Phänomen wie das literarische Lesen nur mit einem transdisziplinären Forschungsansatz hinreichend untersuchen. Ausdiesem Grund werden indiesem Projekt literaturwissenschaftliche mit kommunikationswissenschaftlichen Kompetenzen vereint. In einer Reihe empirischer Experimente soll auf der Basis von Literatur-, Lese- und Kommunikationstheorie untersucht werden, wie sich unterschiedliche Lesemedien konkret gedrucktes Buch, E-Reader und Tablet auf zentrale Dimensionen der literarischen Erfahrung auswirken. Die Ergebnisse werden Anhand von Fokusgruppen interpretiert und vertieft. Damit sollen wichtige Erkenntnisse für die beteiligten Wissenschaften, aber vor allem auch für die gesellschaftlichen Institutionen, die die Lesekultur tragen, also Schule, Universität, Buchhandel und Verlage, und Bibliothekswesen erbracht werden. 1 Debray, Régis: Einführung in die Mediologie. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt 2003, S. 54f.
Mit E-Readern, Smartphones, Notebooks und Tablets sind neue Lesemedien entstanden, deren Haptik, Räumlichkeit, Visualität und Materialität sich grundlegend von denen des traditionellen Buches unterscheiden und die von einer Reihe unterschiedlicher Textdarstellungen und damit verbundenen Nutzungshandlungen gekennzeichnet sind. In öffentlichen Debatten wird das Lesen am Bildschirm immer wieder als Bedrohung für die Lesekultur diskutiert, doch bisher wurde den konkreten Folgen der Digitalisierung literarischer Texte, im Gegensatz zu informativen Texten, für den Leseprozess zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In diesem Sinne war es das vorrangige Ziel des Projekts, die Folgen der Digitalisierung narrativer Texte zu untersuchen auf der Grundlage unterschiedlicher empirischer Methoden und mit einem breiten und vielschichtigen Fokus. Mit einem transdisziplinären Forschungsansatz verband das Projekt Kompetenzen aus Literaturwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Psychologie und im Rahmen eines Mixed-Methods-Designs wurde eine Bestandsaufnahme des aktuellen Forschungsstandes, ein Laborexperiment, eine Fokusgruppenstudie, eine Meta-Analyse und eine Umfrage durchgeführt. Das zentrale Ergebnis unserer empirischen Untersuchungen zur Frage nach den Konsequenzen des Lesens digitalisierter Literatur im Vergleich zu gedruckten Büchern besteht zusammengefasst darin, dass wir die wesentlichen Veränderungen nicht im konkreten Akt des Lesens, dem Textverstehen oder der literarischen Erfahrung feststellen konnten, sondern in den Lese- und Nutzungspraktiken von Büchern. Sowohl was die Menge des Gelesenen betrifft als auch die Lektüreauswahl, die Leseorte und Lesesituationen sowie die Erwerbs - und Aufbewahrungsformen, münden die unterschiedlichen Materialitätsprofile von digitalisierten und gedruckten Büchern in unterschiedlichen Praxeographien. Allerdings erfüllen beide Lesemedien unterschiedliche Funktionen, gehen mit verschiedenen Lesepraktiken einher und ergänzen sich vielmehr als sich zu ersetzen. Denn bei den meisten Leser:innen geht es nicht um die Frage der Verdrängung des alten Mediums durch ein neues, sondern um die bewusste Wahl des geeigneteren in bestimmten Lesesituationen.
- Universität Wien - 100%
- Simone C. Ehmig, Stiftung Lesen - Deutschland
- Anne Mangen, University of Stavanger - Norwegen
Research Output
- 7 Zitationen
- 19 Publikationen
- 1 Weitere Förderungen
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2024
Titel "Wir lesen E-Books oberflächlicher als gedruckte Bücher." Über Bildschirmmedien und Buchlektüre; In: Mythen des Lesens. Über eine Kulturtechnik in Zeiten gesellschaftlichen Wandels Typ Book Chapter Autor Stocker G Verlag transcript Verlag Seiten 189-202 -
2023
Titel Bücher am Bildschirm DOI 10.1007/s41244-023-00294-2 Typ Journal Article Autor Kosch L Journal Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Seiten 761-780 Link Publikation -
2024
Titel Literatur digital Lesen. Ergebnisse des Projekts "Books on Screen". Typ Journal Article Autor Kosch L Journal Zeitschrift kjl&m Forschung.Schule.Bibliothek Seiten 11-17 -
2023
Titel Digital reading and gender inequality in higher education. Typ Journal Article Autor Kuhn Journal Higher Education Research & Development Seiten 141-155 Link Publikation -
2023
Titel "Ein E-Book hat halt nicht wirklich einen Ort." Funktion und Bedeutung der physischen Präsenz von Büchern.; In: "Alles außer Lesen " - Praxeologien des Buchgebrauchs" Typ Book Chapter Autor Stocker Verlag Hiersemann Seiten 329-337 -
2023
Titel Bücher am Bildschirm. Empirische Befunde zu Leseerfahrungen und Lesepraktiken mit digitalisierter Literatur Typ Journal Article Autor Kosch Journal Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Seiten 761-780 Link Publikation -
2022
Titel Who gets lost? How digital academic reading impacts equal opportunity in higher education DOI 10.1177/14614448211072306 Typ Journal Article Autor Kuhn A Journal New Media & Society -
2022
Titel No negative effects of reading on screen on comprehension of narrative texts compared to print: A meta-analysis DOI 10.17605/osf.io/gsut9 Typ Other Autor Lind F Link Publikation -
2022
Titel Book readers in the digital age: Reading practices and media technologies DOI 10.1177/20501579221122208 Typ Journal Article Autor Kosch L Journal Mobile Media & Communication -
2022
Titel No Negative Effects of Reading on Screen on Comprehension of Narrative Texts Compared to Print: A Meta-analysis DOI 10.1080/15213269.2022.2070216 Typ Journal Article Autor Lind F Journal Media Psychology -
2021
Titel Experiencing literature on the e-reader: the effects of reading narrative texts on screen DOI 10.1111/1467-9817.12337 Typ Journal Article Autor Schwabe A Journal Journal of Research in Reading Seiten 319-338 Link Publikation -
2020
Titel Literatur am Bildschirm DOI 10.1111/oli.12271 Typ Journal Article Autor Schwabe A Journal Orbis Litterarum Seiten 213-229 Link Publikation -
0
Titel Literatur digital Lesen. Ergebnisse des Projekts "Books on Screen". Typ Journal Article Autor Kosch L Journal Zeitschrift kjl&m Forschung.Schule.Bibliothek -
0
Titel Bücher am Bildschirm. Empirische Befunde zu Leseerfahrungen und Lesepraktiken mit digitalisierter Literatur Typ Journal Article Autor Kosch Journal Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Link Publikation -
0
Titel "Ein E-Book hat halt nicht wirklich einen Ort." Funktion und Bedeutung der physischen Präsenz von Büchern.; In: "Alles außer Lesen " - Praxeologien des Buchgebrauchs" Typ Book Chapter Autor Stocker Verlag Hiersemann -
2021
Titel Digitales Lesen in der Hochschule - Ein Vergleich von Lehramtsstudierenden mit anderen Studierendengruppen. Typ Journal Article Autor Eiben-Zach Journal Medienpädagogik Seiten 282-304 Link Publikation -
2020
Titel Literatur am Bildschirm - Zum Stand der empirischen Leseforschung. Typ Journal Article Autor Brandl Journal Orbis Litterarum Seiten 213-229 Link Publikation -
2021
Titel Digital reading and gender inequality in higher education DOI 10.1080/07294360.2021.2019201 Typ Journal Article Autor Kuhn A Journal Higher Education Research & Development -
2021
Titel Reading fiction with an e-book or in print Purposes, pragmatics and practices. A focus group study DOI 10.1075/ssol.21012.kos Typ Journal Article Autor Kosch L Journal Scientific Study of Literature
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2023
Titel Principal Investigator Projects: Listening to Literatur Typ Research grant (including intramural programme) Förderbeginn 2023 Geldgeber Austrian Science Fund (FWF)