Muss Grundlagenforschung âangewandterâ werden?
âthink.beyondâ â der Name der neuen Dialogplattform des Ăsterreichischen Wissenschaftsfonds FWF enthĂ€lt bereits deren Programm und Ziel: Im Austausch mit den Stakeholdern des österreichischen Forschungs- und Innovationsystems will das Format neue Wege und Modelle zur Verbesserung desselben jenseits des Altbekannten identifizieren und kritisch diskutieren.
Am 14. MĂ€rz 2024 hatte der FWF zum ersten Mal zu diesem Dialog in die historischen RĂ€umlichkeiten der Otto-Wagner-Postsparkasse in Wien eingeladen. Eine Breakout-Session im Rahmen des Summit beschĂ€ftigte sich unter dem Titel âVon der Idee zur Innovation: Wie exzellente Forschung Ăsterreichs Zukunft sichertâ mit den Möglichkeiten, die LĂŒcke zwischen Grundlagenforschung und potenziellen Innovationen, wenn nicht zu schlieĂen, so doch zu verringern.
Die Informatikerin Ruth Breu (UniversitĂ€t Innsbruck), Gabriel Felbermayr, Direktor des WIFO, Christoph Neumayer, GeneralsekretĂ€r der Ăsterreichischen Industriellenvereinigung, und Matthias Weber, Leiter des Center for Innovation Systems and Policy am AIT Austrian Institute of Technology, reprĂ€sentierten in der Diskussion zentrale Stakeholder des Wissenschaftssystems: die Grundlagenforschung ebenso wie die Industrie und die angewandte Forschung und â in einer beobachtenden Rolle â die Wirtschaftsforschung.
Doch worin genau besteht die LĂŒcke zwischen Grundlagenforschung und Innovation? Ist die Entgegensetzung von Grundlagenforschung auf der einen und angewandter Innovation auf der anderen Seite nicht von jeher irrefĂŒhrend?
Auch wenn eine klare Trennlinie zwischen Grundlagenforschung da, Innovation dort, nicht zu ziehen sei, wie zuletzt NobelpreistrĂ€ger wie Anton Zeilinger und Ferenc Krausz zeigten, deren Erkenntnisse in der Quantenphysik zu Anwendungen in der Quantenkryptografie beziehungsweise Quantenoptik fĂŒhrten, so sei der Weg von der Erkenntnis bis zur Anwendung mit bis zu zwei Jahrzehnten immer noch sehr lang, sagte Christof Gattringer, PrĂ€sident des Ăsterreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der die Breakout-Session moderierte, einleitend und setzte fort: âDer gesellschaftliche Wert von Grundlagenforschung ist wohl deutlich sichtbar und unbestritten. In der jetzigen Diskussion wollen wir trotzdem genauer betrachten, welchen ökonomischen Wert die Grundlagenforschung hat, und wie die wissenschaftliche ProduktivitĂ€t gesteigert werden kann, ohne die Wissenschaft zu korrumpieren.â
Von der Idee zum Unternehmen und zurĂŒck
Die Informatikerin Ruth Breu ist in der akademischen Welt fest verwurzelt: Sie steht der Forschungsgruppe Quality Engineering an der UniversitĂ€t vor, ist Dekanin der dortigen FakultĂ€t fĂŒr Mathematik, Informatik und Physik, hat mehrere durch den FWF geförderte Projekte geleitet (darunter zwei anspruchsvolle âTranslational Researchâ-Projekte) und ist seit 2019 Leiterin des Digital Innovation Hub West, eines Zusammenschlusses von dreizehn Hochschul- und Forschungspartnern und Interessensvertretungen.
Diese beeindruckende akademische Breite ist fĂŒr Breu ein wesentliches Element, das es ihr nach eigenem Bekunden 2019 erst ermöglicht hat, das Spin-off Txture GmbH zu grĂŒnden, fĂŒr das sie 2019 zusammen mit der UniversitĂ€t Innsbruck den österreichischen GrĂŒnderpreis Phönix erhielt. âDie UnternehmensgrĂŒndung ist das Ende eines Prozesses, in dessen Verlauf vieles zusammenpassen muss, das akademische Umfeld, die entsprechende Förderung, um Ideen zu entwickeln, und vor allem Zeitâ, so die Wissenschaftlerin. Breu sagt von sich, sie sei immer an der Anwendbarkeit ihrer Forschung interessiert gewesen, weshalb Grundlagenforschung und Innovation fĂŒr sie keine GegensĂ€tze darstellten: âAnwendung und Grundlagenforschung bilden eher ein Kontinuum, keine Pole.â Um die ProduktivitĂ€t dieses Systems aufrechtzuerhalten oder zu steigern, empfiehlt sie, gröĂeres Augenmerk auf die jungen Wissenschaftler:innen zu richten, die in diesem Kontinuum die Möglichkeit haben mĂŒssten, einen guten NĂ€hrboden fĂŒr ihre Ideen und ihre Arbeit zu finden. âWir sollten sie nicht dem Druck aussetzen, sich fĂŒr das eine oder das andere entscheiden zu mĂŒssen. Es sollte zum Beispiel Karrierewege geben, die leichtere Wechsel zwischen Anwendung, Unternehmensforschung und UniversitĂ€t ermöglichen.â
Gabriel Felbermayr, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) in Wien, bereitet derzeit im Auftrag des FWF eine Studie vor, die in Zahlen gieĂen soll, was Forschungsförderung und Grundlagenforschung fĂŒr die Gesellschaft und ihren Wohlstand leisten. FĂŒr Felbermayr stellen sich im Vorfeld ganz praktische Herausforderungen fĂŒr das Studiendesign. Da ist zum einen die rĂ€umliche Abgrenzung: âErkenntnisse aus der Grundlagenforschung diffundieren global, sie machen nicht an nationalen Grenzen halt.â Auch die zeitliche Abgrenzung ist schwierig: âEs gibt einen Timelag zwischen der Investition und den Benefits, das können zwanzig Jahre oder auch mehr sein.â Felbermayr geht davon aus, dass in der aktuellen Diskussion der tatsĂ€chliche Wert von Forschung daher immer unterschĂ€tzt wird â und damit auch die tatsĂ€chliche ProduktivitĂ€t des Austauschs zwischen Grundlagenforschung und Innovationssystem.
Die Rolle der Unternehmen
WĂ€hrend die angewandte Forschung in Ăsterreich zu zwei Dritteln durch den Unternehmenssektor gefördert wird, ist die Förderung von Grundlagenforschung weitgehend Sache der Forschungsförderung der öffentlichen Hand. âDass wir in Ăsterreich heute bei einer Forschungsquote von 3,22 Prozent stehen und damit auf den oberen RĂ€ngen in Europa mit dabei sind, ist eine bemerkenswerte Entwicklung der letzten zwanzig Jahre, zu der der Privatsektor wesentlich beigetragen hat. Wir haben heute 60 Prozent mehr forschungsaktive Unternehmen als noch um das Jahr 2000â, stellte Christoph Neumayer als GeneralsekretĂ€r der Industriellenvereinigung fest, um zu ergĂ€nzen: âDas hat funktioniert, weil wir als Unternehmen einen starken Partner in der Grundlagenforschung haben.â Die âArbeitsteilungâ auf der Ebene der Forschungsförderung sieht Neumayer daher nicht als problematisch an: Wichtig sei es, dass es eine ausreichende Vielfalt der AnsĂ€tze und Methoden gebe, die eine stetige Weiterentwicklung ermöglichen.
Auch Matthias Weber richtete den Blick auf die Erfolge des Innovationssystems, betonte aber, dass vor dem Hintergrund der aktuellen groĂen UmbrĂŒche im Bereich Digitalisierung und AI eine enge Verzahnung von ForschungsaktivitĂ€ten und eine intensive Arbeitsteilung in der Forschung notwendig seien. âWir mĂŒssen anschlussfĂ€hig sein fĂŒr die globalen Hotspots und dĂŒrfen nicht vergessen, dass etwa in den USA auch Grundlagenforschung mit gewaltigen Summen aus privater Hand finanziert wird.â
GegenĂŒber der im öffentlichen Diskurs hĂ€ufiger vernommenen Forderung nach einer stĂ€rkeren Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen zeigte sich Weber jedoch skeptisch: âDass Grundlagenforschung den Unternehmen nutzt und ihren BedĂŒrfnissen entspricht, ist bereits an den Patenten sichtbar, die sich auf die Grundlagenforschung beziehen. Von den UniversitĂ€ten kann man nicht erwarten, sich auch noch um die Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen zu kĂŒmmern.â
Beschleunigung
Die kĂŒnstliche Intelligenz, die die Forschungssysteme nach EinschĂ€tzung der Stakeholder auch ethisch sehr stark herausfordert, ist zugleich ein Treiber einer immer stĂ€rkeren Beschleunigung der technologischen Entwicklung. Das birgt fĂŒr Forschende ganz konkret einen enormen Zeitdruck: âUnd der Tag hat trotzdem nur 24 Stundenâ, so Ruth Breu, die in ihrem Abschluss-Statement ebenso wie Christoph Neumayer fĂŒr mehr UnterstĂŒtzung fĂŒr junge Forschende warb.
Die beschleunigte Entwicklungszeit bedeutet fĂŒr Unternehmen einen zusĂ€tzlichen Druck, das Potenzial von neuen Erkenntnissen möglichst schnell möglichst gut einschĂ€tzen zu können. Die Grundlagenforschung könne sich wiederum gefordert sehen, schnelle Ergebnisse liefern zu mĂŒssen, was wiederum der Logik der Offenheit der Forschung nicht entspricht. In dem Zusammenhang bewertete das Diskussionspanel die Missionsorientierung des kommenden EU-Forschungsrahmenprogramms, das 2028 Horizon Europe ablösen wird, positiv. âDamit werden groĂe Zukunftsfragen geclustert adressiert und können mit mehr Freiheit bearbeitet werdenâ, so Felbermayr. Auch Emerging Fields, das zweite Programm der Exzellenzinitiative excellent=austria, die in einer ersten Runde fĂŒnf Projekte der Grundlagenforschung fĂŒnf Jahre lang mit insgesamt 31 Millionen Euro fördert, sei als ein zukunftsweisender Ansatz zu sehen, den Widerspruch von âlangsamerâ Grundlagenforschung und beschleunigten Innovationszyklen aufzulösen. âSolche AnsĂ€tze zeigen auch auf, dass wir den Nutzenbegriff anders denken mĂŒssen, weil wir Zukunftsaufgaben zu bewĂ€ltigen haben, die ĂŒber einen eingeschrĂ€nkt ökonomischen Effekt hinausgehen.â
Christof Gattringer zeigte sich als Gastgeber abschlieĂend erfreut ĂŒber die Debatte: âWir haben einen Einblick in das âĂkosystemâ Forschung in Ăsterreich bekommen, der mich zumindest optimistisch macht, dass wir die Herausforderungen, die da sind, auch gut meistern werden.â