Hannelore Veit, Manuela Baccarini, Christian Pohl, Barbara Weitgruber, Mari Sundli Tveit und FWF-Präsident Christof Gattringer
Hannelore Veit (Moderation), Manuela Baccarini (Vizerektorin für Forschung & Internationales, Universität Wien), Christian Pohl (Umweltwissenschaftler, ETH Zürich, Mitglied der internationalen Emerging-Fields-Jury), Barbara Weitgruber (Sektionschefin Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung), Mari Sundli Tveit (Chief Executive, Research Council of Norway, President Science Europe) und FWF-Präsident Christof Gattringer bei der Podiumsdiskussion. © FWF/Christine Miess

Der erste „think.beyond Summit“ des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF stand im Zeichen des Impacts der Grundlagenforschung für Wirtschaft, Industriestandort und Gesellschaft und versuchte in zwei Breakout-Sessions – einer zum Thema Forschungsphilantropie und einer zum Thema Innovation und Wirtschaft – sowie einer Paneldiskussion, alle Stakeholder des österreichischen Forschungs- und Innovationssystems in die Debatte um neue Formen der Förderung von Wissenschaft und Forschung einzubinden. In seinem Grußwort hatte Martin Polaschek, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, auf die „Synergien zwischen klassischen Forschungsstätten und der Forschung in Unternehmen und außeruniversitären Einrichtungen“ hingewiesen, die eine wichtige Rolle für die Bewältigung aktueller Herausforderungen, namentlich der steigenden Kosten von Forschungstechnologien und des Kampfes gegen Wissenschaftsskepsis, spielten. 

Dreh- und Angelpunkt der Paneldiskussion am 14. März 2024 in den historischen Räumen der alten Postsparkasse in Wien war die neu ins Leben gerufene Programm des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF „Emerging Fields“. Das Programm ist die zweite Förderschiene der Exzellenzinitiative excellent=austria und für bahnbrechende exzellente Grundlagenforschung gedacht, die sich disziplinübergreifend mit Forschungsfragen auseinandersetzt, deren Konturen gerade erst sichtbar werden, und die dennoch großes Potenzial für Innovationen hat. Fünf große Forschungsvorhaben, die diesen Kriterien entsprechen, werden aktuell im Rahmen des ersten Calls von Emerging Fields fünf Jahre lang mit insgesamt 31 Millionen Euro gefördert und wurden zum feierlichen Abschluss des ersten „think.beyond Summit“ vorgestellt. 

Steht das Programm Emerging Fields für eine neue Grundlagenforschung und für einen Paradigmenwechsel in der Forschungsförderung? Und wenn ja, warum braucht es diesen Paradigmenwechsel? Der „think.beyond Summit“ versuchte zu eruieren, welche Rahmenbedingungen Spitzenforschung braucht, damit sich die Welten der freien Ideen und der Innovation verbinden können.

Moderiert von Hannelore Veit, diskutierten die Zellbiologin Manuela Baccarini, Vizerektorin der Universität Wien, der Physiker Christof Gattringer, Präsident des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Umweltwissenschaftler Christian Pohl, Mitglied der Jury von Emerging Fields, Mari Sundli Tveit, Präsidentin von Science Europe und Geschäftsführerin des norwegischen Forschungsrates (Norges forskningsråd), sowie Barbara Weitgruber, Leiterin der Sektion Wissenschaftliche Forschung und internationale Angelegenheiten des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Österreich. 

Revolutionär und relevant

Der FWF förderte exzellente Grundlagenforschung 2023 mit insgesamt 350 Millionen Euro. Gastgeber Christof Gattringer skizzierte einleitend in großen Zügen, was das neue Programm Emerging Fields ausmacht, die in der ersten Runde 2025 bis 2030 fünf Projekte mit 31 Millionen Euro unterstützen wird: „Jede Forschung hat evolutionäre und revolutionäre Aspekte“, so der Präsident des FWF. „Sie ist evolutionär, insofern sie sich auf gefestigtes Wissen stützt, und revolutionär, weil Forschung gefestigtes Wissen kritisch und radikal hinterfragt und hinterfragen muss, um sich weiterzuentwickeln und um etwas Neues zu schaffen. Mit Emerging Fields zielen wir auf diesen revolutionären Aspekt des Forschens ab, wir wollen den bahnbrechenden und revolutionären Ideen eine Chance geben, die bei der ausgeprägt kompetitiven Förderung der Grundlagenforschung sonst riskieren, in der Schublade zu bleiben.“

Glückstreffer und Zufälle

Manuela Baccarini, Vizerektorin der Universität Wien, erinnerte an einen berühmten Ausspruch des Molekularbiologen Max Perutz, der sinngemäß gesagt haben soll: „Entdeckungen sind wie der Puck. Sie tauchen immer dort auf, wo man am wenigsten mit ihnen rechnet.“ Ergebnisoffenheit sei für den niemals garantierten Erfolg der Grundlagenforschung zentral. Innovationen wie Quantenkryptografie, die „Genschere“ CRISPR/Cas oder die Covid-19-Impfstoffe verdankten sich glücklichen Zufällen und dem Entdeckungsdrang der Forschenden. Baccarinis Fazit lautete daher: „Forscher:innen sollten ihren Einfällen folgen können.“ Dass dies auch zu ökonomisch verwertbaren Ergebnissen führe, werde durch Patente belegt.

Auch die Präsidentin von Science Europe, Mari Sundli Tveit, brach eine Lanze für den Zufall – und für das Glück, etwas zu finden, nach dem man eigentlich gar nicht suchte. „Forschende sollten nicht durch die Logik der Förderung gezwungen werden, Entdeckungen auf Eis zu legen“, erklärte Tveit. In Norwegen hat der Forschungsrat auf die gewundenen Wege wissenschaftlicher Durchbrüche reagiert: Stellt sich bei Zwischenevaluierungen heraus, dass sich die Richtung der Forschung ändert, fördert der Norges forskningsråd auch die Planänderung. „Wenn sich zeigt, dass es sinnvoll ist, den Pfad zu wechseln, dann geht das. Niemand wird gezwungen, weitere Jahre auf einem Pfad zu bleiben, nur weil der in dem ursprünglichen Förderantrag so skizziert wurde.“ Trotz solcher Mechanismen wünscht sich Tveit noch mehr Flexibilität in den Förderprogrammen.

Emerging Fields schafft neben den Freiräumen zugleich einen Rahmen, damit aus revolutionären Ideen potenziell auch Innovationen werden können, die für die Gesellschaft relevant sind. „Relevanz zu definieren, ist nicht trivial“, berichtet Christian Pohl von der ETH Zürich, der als Mitglied der Jury von Emerging Fields die insgesamt fünf geförderten Projekte mit bewertet hat. „Ein Schlüssel für die Erzeugung relevanter Ergebnisse, der die Freiheit der Forschung nicht einschränkt, liegt in der Integration verschiedener Disziplinen. So wird bei Emerging Fields automatisch Relevanz für die Gesellschaft erzeugt und nicht lediglich für ein abgegrenztes wissenschaftliches Feld.“ An den fünf Emerging-Fields-Projekten sind über 100 Wissenschaftler:innen aus verschiedenen natur-, sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen beteiligt.

Nationale und europäische Perspektiven

Der Rahmen für die Förderung von Grundlagenforschung wird in Österreich unter anderem durch die FTI-Strategie 2030 bestimmt. Das bedeute finanzielle Planungssicherheit, die sowohl für Forschungsstätten wie auch für einzelne Forschende von großer Wichtigkeit ist, betonten sowohl Christof Gattringer als auch Barbara Weitgruber, die als Sektionsleiterin des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung derzeit unter anderem neue Leistungsvereinbarungen mit den Universitäten verhandelt. „Wir wollen Innovation und riskante Grundlagenforschung stärken und arbeiten etwa daran, Kriterien zu entwickeln, wie Universitäten besonders innovative Ansätze in der Forschung und besonders innovative Forscher:innen identifizieren können, die dann, unterstützt von abgestimmten Förderprogrammen wie Emerging Fields oder auch Connecting Minds und Citizen Science, ihre Vorhaben realisieren können.“ Die Forschungspolitik habe die Aufgabe, Strukturen zu schaffen, die auch vermeintlich „verrückte Ideen“ produktiv machen können.

„Die Einbettung in europäische Forschungsstrukturen ist für innovative Forschung in Österreich ganz entscheidend“, erklärte Gattringer auf die Frage nach dem Verhältnis von europäischer und nationaler Förderung. Die Produktivität der Einbettung zeige sich etwa an der hohen Zahl an ERC-Grants, die österreichische Forschungsgruppen erhielten: Seit 2007 wurden 480 ERC-Grants an Forschende in Österreich vergeben und so 835 Millionen Euro für exzellente Grundlagenforschung eingeworben. Doch die europäische Perspektive umfasst nicht nur aus Gattringers Sicht viel mehr, als Fördersummen aussagen: „Technologiesouveränität, Sicherheit, Demokratie, akademische und wissenschaftliche Freiheit sind Themen, deren Bedeutung für die Wissenschaft in Europa wahrscheinlich nicht hoch genug eingeschätzt werden kann“, ergänzte Tveit, die in ihrer weiteren Funktion als Präsidentin von Science Europe europäische Forschungsförderungseinrichtungen und Forschungsstätten vertritt.

Eine Ehrung für fünf Emerging Fields

Der erste „think.beyond Summit“ fand durch die Ehrung für die ersten fünf Projekte des Programms Emerging Fields einen äußerst gelungenen Abschluss, zeigten diese Projekte doch, was innovative, exzellente Grundlagenforschung mit gesellschaftlicher Relevanz ganz konkret bedeuten kann: Das Emerging Field „Remass – Resilience and Malleability of Social Metabolism“ wird die Bedingungen für resiliente Lieferketten und Ressourcennutzung eruieren; „A New Geometry for Einstein’s Theory of Relativity & Beyond“ zielt auf einen neuen mathematischen Zugang zur Raumzeitkrümmung ab, um die Relativitätstheorie und Quantengravitation für Anwendungen zu nutzen; „Brain Resilience“ wird sich mit den Möglichkeiten der genetischen Beeinflussung der Gehirn-Resilienz beschäftigen; „Crucial Steps in Evolution: The Rise of Genome Architecture“ will die Evolution komplexer Lebensformen aus Archaea und Bakterien mit neuen Methoden entschlüsseln und „Devising Advanced TCR-T Cells to Eradicate OsteoSarcoma“ schließlich sucht nach Möglichkeiten, Immunzellen maßgeschneidert für individuelle Krebspatient:innen herzustellen, um das Osteosarkom bei Kindern zu bekämpfen.

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