Ein Blick in die Spitzenforschung von morgen

Der erste âthink.beyond Summitâ des Ăsterreichischen Wissenschaftsfonds FWF stand im Zeichen des Impacts der Grundlagenforschung fĂŒr Wirtschaft, Industriestandort und Gesellschaft und versuchte in zwei Breakout-Sessions â einer zum Thema Forschungsphilantropie und einer zum Thema Innovation und Wirtschaft â sowie einer Paneldiskussion, alle Stakeholder des österreichischen Forschungs- und Innovationssystems in die Debatte um neue Formen der Förderung von Wissenschaft und Forschung einzubinden. In seinem GruĂwort hatte Martin Polaschek, Bundesminister fĂŒr Bildung, Wissenschaft und Forschung, auf die âSynergien zwischen klassischen ForschungsstĂ€tten und der Forschung in Unternehmen und auĂeruniversitĂ€ren Einrichtungenâ hingewiesen, die eine wichtige Rolle fĂŒr die BewĂ€ltigung aktueller Herausforderungen, namentlich der steigenden Kosten von Forschungstechnologien und des Kampfes gegen Wissenschaftsskepsis, spielten.
Dreh- und Angelpunkt der Paneldiskussion am 14. MĂ€rz 2024 in den historischen RĂ€umen der alten Postsparkasse in Wien war die neu ins Leben gerufene Programm des Ăsterreichischen Wissenschaftsfonds FWF âEmerging Fieldsâ. Das Programm ist die zweite Förderschiene der Exzellenzinitiative excellent=austria und fĂŒr bahnbrechende exzellente Grundlagenforschung gedacht, die sich disziplinĂŒbergreifend mit Forschungsfragen auseinandersetzt, deren Konturen gerade erst sichtbar werden, und die dennoch groĂes Potenzial fĂŒr Innovationen hat. FĂŒnf groĂe Forschungsvorhaben, die diesen Kriterien entsprechen, werden aktuell im Rahmen des ersten Calls von Emerging Fields fĂŒnf Jahre lang mit insgesamt 31 Millionen Euro gefördert und wurden zum feierlichen Abschluss des ersten âthink.beyond Summitâ vorgestellt.
Steht das Programm Emerging Fields fĂŒr eine neue Grundlagenforschung und fĂŒr einen Paradigmenwechsel in der Forschungsförderung? Und wenn ja, warum braucht es diesen Paradigmenwechsel? Der âthink.beyond Summitâ versuchte zu eruieren, welche Rahmenbedingungen Spitzenforschung braucht, damit sich die Welten der freien Ideen und der Innovation verbinden können.
Moderiert von Hannelore Veit, diskutierten die Zellbiologin Manuela Baccarini, Vizerektorin der UniversitĂ€t Wien, der Physiker Christof Gattringer, PrĂ€sident des Ăsterreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Umweltwissenschaftler Christian Pohl, Mitglied der Jury von Emerging Fields, Mari Sundli Tveit, PrĂ€sidentin von Science Europe und GeschĂ€ftsfĂŒhrerin des norwegischen Forschungsrates (Norges forskningsrĂ„d), sowie Barbara Weitgruber, Leiterin der Sektion Wissenschaftliche Forschung und internationale Angelegenheiten des Bundesministeriums fĂŒr Bildung, Wissenschaft und Forschung in Ăsterreich.
RevolutionÀr und relevant
Der FWF förderte exzellente Grundlagenforschung 2023 mit insgesamt 350 Millionen Euro. Gastgeber Christof Gattringer skizzierte einleitend in groĂen ZĂŒgen, was das neue Programm Emerging Fields ausmacht, die in der ersten Runde 2025 bis 2030 fĂŒnf Projekte mit 31 Millionen Euro unterstĂŒtzen wird: âJede Forschung hat evolutionĂ€re und revolutionĂ€re Aspekteâ, so der PrĂ€sident des FWF. âSie ist evolutionĂ€r, insofern sie sich auf gefestigtes Wissen stĂŒtzt, und revolutionĂ€r, weil Forschung gefestigtes Wissen kritisch und radikal hinterfragt und hinterfragen muss, um sich weiterzuentwickeln und um etwas Neues zu schaffen. Mit Emerging Fields zielen wir auf diesen revolutionĂ€ren Aspekt des Forschens ab, wir wollen den bahnbrechenden und revolutionĂ€ren Ideen eine Chance geben, die bei der ausgeprĂ€gt kompetitiven Förderung der Grundlagenforschung sonst riskieren, in der Schublade zu bleiben.â
GlĂŒckstreffer und ZufĂ€lle
Manuela Baccarini, Vizerektorin der UniversitĂ€t Wien, erinnerte an einen berĂŒhmten Ausspruch des Molekularbiologen Max Perutz, der sinngemÀà gesagt haben soll: âEntdeckungen sind wie der Puck. Sie tauchen immer dort auf, wo man am wenigsten mit ihnen rechnet.â Ergebnisoffenheit sei fĂŒr den niemals garantierten Erfolg der Grundlagenforschung zentral. Innovationen wie Quantenkryptografie, die âGenschereâ CRISPR/Cas oder die Covid-19-Impfstoffe verdankten sich glĂŒcklichen ZufĂ€llen und dem Entdeckungsdrang der Forschenden. Baccarinis Fazit lautete daher: âForscher:innen sollten ihren EinfĂ€llen folgen können.â Dass dies auch zu ökonomisch verwertbaren Ergebnissen fĂŒhre, werde durch Patente belegt.
Auch die PrĂ€sidentin von Science Europe, Mari Sundli Tveit, brach eine Lanze fĂŒr den Zufall â und fĂŒr das GlĂŒck, etwas zu finden, nach dem man eigentlich gar nicht suchte. âForschende sollten nicht durch die Logik der Förderung gezwungen werden, Entdeckungen auf Eis zu legenâ, erklĂ€rte Tveit. In Norwegen hat der Forschungsrat auf die gewundenen Wege wissenschaftlicher DurchbrĂŒche reagiert: Stellt sich bei Zwischenevaluierungen heraus, dass sich die Richtung der Forschung Ă€ndert, fördert der Norges forskningsrĂ„d auch die PlanĂ€nderung. âWenn sich zeigt, dass es sinnvoll ist, den Pfad zu wechseln, dann geht das. Niemand wird gezwungen, weitere Jahre auf einem Pfad zu bleiben, nur weil der in dem ursprĂŒnglichen Förderantrag so skizziert wurde.â Trotz solcher Mechanismen wĂŒnscht sich Tveit noch mehr FlexibilitĂ€t in den Förderprogrammen.
Emerging Fields schafft neben den FreirĂ€umen zugleich einen Rahmen, damit aus revolutionĂ€ren Ideen potenziell auch Innovationen werden können, die fĂŒr die Gesellschaft relevant sind. âRelevanz zu definieren, ist nicht trivialâ, berichtet Christian Pohl von der ETH ZĂŒrich, der als Mitglied der Jury von Emerging Fields die insgesamt fĂŒnf geförderten Projekte mit bewertet hat. âEin SchlĂŒssel fĂŒr die Erzeugung relevanter Ergebnisse, der die Freiheit der Forschung nicht einschrĂ€nkt, liegt in der Integration verschiedener Disziplinen. So wird bei Emerging Fields automatisch Relevanz fĂŒr die Gesellschaft erzeugt und nicht lediglich fĂŒr ein abgegrenztes wissenschaftliches Feld.â An den fĂŒnf Emerging-Fields-Projekten sind ĂŒber 100 Wissenschaftler:innen aus verschiedenen natur-, sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen beteiligt.
Nationale und europÀische Perspektiven
Der Rahmen fĂŒr die Förderung von Grundlagenforschung wird in Ăsterreich unter anderem durch die FTI-Strategie 2030 bestimmt. Das bedeute finanzielle Planungssicherheit, die sowohl fĂŒr ForschungsstĂ€tten wie auch fĂŒr einzelne Forschende von groĂer Wichtigkeit ist, betonten sowohl Christof Gattringer als auch Barbara Weitgruber, die als Sektionsleiterin des Bundesministeriums fĂŒr Bildung, Wissenschaft und Forschung derzeit unter anderem neue Leistungsvereinbarungen mit den UniversitĂ€ten verhandelt. âWir wollen Innovation und riskante Grundlagenforschung stĂ€rken und arbeiten etwa daran, Kriterien zu entwickeln, wie UniversitĂ€ten besonders innovative AnsĂ€tze in der Forschung und besonders innovative Forscher:innen identifizieren können, die dann, unterstĂŒtzt von abgestimmten Förderprogrammen wie Emerging Fields oder auch Connecting Minds und Citizen Science, ihre Vorhaben realisieren können.â Die Forschungspolitik habe die Aufgabe, Strukturen zu schaffen, die auch vermeintlich âverrĂŒckte Ideenâ produktiv machen können.
âDie Einbettung in europĂ€ische Forschungsstrukturen ist fĂŒr innovative Forschung in Ăsterreich ganz entscheidendâ, erklĂ€rte Gattringer auf die Frage nach dem VerhĂ€ltnis von europĂ€ischer und nationaler Förderung. Die ProduktivitĂ€t der Einbettung zeige sich etwa an der hohen Zahl an ERC-Grants, die österreichische Forschungsgruppen erhielten: Seit 2007 wurden 480 ERC-Grants an Forschende in Ăsterreich vergeben und so 835 Millionen Euro fĂŒr exzellente Grundlagenforschung eingeworben. Doch die europĂ€ische Perspektive umfasst nicht nur aus Gattringers Sicht viel mehr, als Fördersummen aussagen: âTechnologiesouverĂ€nitĂ€t, Sicherheit, Demokratie, akademische und wissenschaftliche Freiheit sind Themen, deren Bedeutung fĂŒr die Wissenschaft in Europa wahrscheinlich nicht hoch genug eingeschĂ€tzt werden kannâ, ergĂ€nzte Tveit, die in ihrer weiteren Funktion als PrĂ€sidentin von Science Europe europĂ€ische Forschungsförderungseinrichtungen und ForschungsstĂ€tten vertritt.
Eine Ehrung fĂŒr fĂŒnf Emerging Fields
Der erste âthink.beyond Summitâ fand durch die Ehrung fĂŒr die ersten fĂŒnf Projekte des Programms Emerging Fields einen Ă€uĂerst gelungenen Abschluss, zeigten diese Projekte doch, was innovative, exzellente Grundlagenforschung mit gesellschaftlicher Relevanz ganz konkret bedeuten kann: Das Emerging Field âRemass â Resilience and Malleability of Social Metabolismâ wird die Bedingungen fĂŒr resiliente Lieferketten und Ressourcennutzung eruieren; âA New Geometry for Einsteinâs Theory of Relativity & Beyondâ zielt auf einen neuen mathematischen Zugang zur RaumzeitkrĂŒmmung ab, um die RelativitĂ€tstheorie und Quantengravitation fĂŒr Anwendungen zu nutzen; âBrain Resilienceâ wird sich mit den Möglichkeiten der genetischen Beeinflussung der Gehirn-Resilienz beschĂ€ftigen; âCrucial Steps in Evolution: The Rise of Genome Architectureâ will die Evolution komplexer Lebensformen aus Archaea und Bakterien mit neuen Methoden entschlĂŒsseln und âDevising Advanced TCR-T Cells to Eradicate OsteoSarcomaâ schlieĂlich sucht nach Möglichkeiten, Immunzellen maĂgeschneidert fĂŒr individuelle Krebspatient:innen herzustellen, um das Osteosarkom bei Kindern zu bekĂ€mpfen.