Gewalt im deutsch und sowjetisch besetzten Polen 1939-1941
Violence in German and Soviet Occupied Poland, 1939-1941
Wissenschaftsdisziplinen
Geschichte, Archäologie (90%); Politikwissenschaften (10%)
Keywords
-
Gewalt gegen die polnische Bevölkerung,
Polen,
Sowjetische und deutsche Besatzung,
Deportationen,
Zweiter Weltkrieg,
Gewalt gegen Juden und Jüdinnen
Am 1. September 1939 griff das nationalsozialistische Deutschland Polen an. Da Hitler sich kurz zuvor mit Stalin über die Teilung des Landes verständigt hatte, marschierte am 17. September auch die Rote Armee in Polen ein. Für 21 Monate, bis zum deutschen Krieg gegen die Sowjetunion, stand das Land nun unter der Herrschaft zweier extremer Besatzungsmächte. Auch wenn es in anderen Staa- ten, wie Jugoslawien und Griechenland, gemischte Besatzungsherrschaften gab, wurde kein anderes Land von zwei so radikalen und gleichzeitig so gegensätzlichen Regimen während desselben Zeitrau- mes unterworfen. Für den Zeitraum September 1939 bis Juni 1941 ergeben sich in Polen geeignete Bedingungen für einen synchronen Vergleich der Besatzungen, aber auch der Erfahrungen der Be- setzten. In diesem durch Zeit und Raum eingegrenzten Rahmen lässt sich ein Vergleich zwischen na- tionalsozialistischen und stalinistischen Strukturen und Logiken viel leichter erzielen, als in vielen der Makrovergleiche, die während der letzten Jahrzehnte angestellt wurden. In dieser Studie sollen die Konzepte, Diskurse und Praktiken von Okkupation sowie die Wahrneh- mung und Reaktionen innerhalb der besetzten Gesellschaft analysiert werden. Die Analyse kon- zentriert sich dabei auf die Bemühungen der Besatzer, die polnische Gesellschaft durch Gewalt, vor allem durch Deportationen, zu verändern. Sowohl die deutschen wie auch die sowjetischen Besatzer deportierten jeweils etwa 400.000 polnische Bürger in einer Zeitspanne von nur 17 Monaten. Im Zuge der deutschen Deportationen wurden Polen und Juden innerhalb Polens, das heißt von den westlichen in die zentralen Gebiete Polens, transportiert. Die Sowjetbehörden deportierten Polen, Juden, Ukrainer sowie Weißrussen ins Innere der Sowjetunion. Auf beiden Seiten wurden gleichzeitig Teile der polnischen Intelligenz ermordet und Massenverhaftungen verdächtiger Widerständler durchgeführt. Zur gezielten Verfolgung und Ermordung von Juden, Roma und Psychiatrieinsassen kam es jedoch ausschließlich unter deutscher Besatzung. Auf Basis dieser Überlegungen ergeben sich folgende Leitfragen: Welche grundsätzlichen Konzepte verfolgten die sowjetischen und deutschen Eliten in Bezug auf Polen vor und während des Krieges? Welche Ziele verfolgten beide Regime bei der Annektierung der neu eroberten Gebiete? Wie ver- suchten beide Regime ihre Besatzung innerhalb ihrer Strukturen und in den Gesellschaften zu legiti- mieren? Welche Opfergruppen wurden verfolgt und welche Arten von Gewalt wurde angewandt, insbesondere während der Deportationen? Wie reagierten die Opfer der Deportationen, aber auch andere Teile der polnischen Bevölkerung, auf die beiden Deportationsregime? Können daraus allge- meine Schlüsse über die Logik und Beschaffenheit dieser beiden unterschiedlichen Regime gezogen werden?
Das Projekt beschäftigte sich mit dem Vergleich der Deportationen in den deutsch-sowjetisch besetzten Gebieten Polens zwischen 1939 und 1941. Ziel war es, die Zwangsumsiedlungen sowohl der deutschen als auch der sowjetischen Besatzungsmächte systematisch zu untersuchen. Dabei wurden die Ziele, die Durchführung und die Auswirkungen der Deportationen auf die betroffenen Menschen sowie auf die gesamte polnische Bevölkerung beleuchtet. Der Vergleich der beiden Regime sollte Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten, ohne die Deportationen im Rahmen der Totalitarismustheorie zu erklären. Die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung durch die Deutschen wurde bewusst ausgeklammert, da dies keine Entsprechung in den sowjetischen Deportationen hatte. Mehr als 700.000 Menschen waren von den Zwangsumsiedlungen betroffen. Sie wurden über Nacht aus ihren Häusern geholt, mit minimalem Gepäck in Güterwaggons verladen und in entfernte Gebiete deportiert. Das Projekt basierte auf einer breiten Quellenbasis aus verschiedenen Sprachen, darunter Deutsch, Russisch, Polnisch und Ukrainisch. Dies ermöglichte eine differenzierte Betrachtung der Deportationen aus der Perspektive der unterschiedlichen Akteure und Betroffenen und lieferte so einen umfassenden Einblick in die Umsetzung der Deportationen in beiden Besatzungszonen. Das Verständnis der insgesamt besser untersuchten deutschen Besatzungsverwaltung konnte insbesondere durch die eingehende Analyse der Akten zur zentralen für die Deportationskoordination zuständigen "Umwandererzentralstelle" (UWZ) vertieft werden. In diesem Zusammenhang wurde aber auch das Zusammenspiel verschiedener Verwaltungsebenen und Institutionen untersucht, die an der Durchführung der Deportationen beteiligt waren und versuchten, auf verschiedenen Ebenen, ihre eigenen Vorstellungen umzusetzen, was zu Spannungen führte. Die sowjetische Deportationsverwaltung wurde ebenfalls eingehend analysiert. Besonders die sogenannten "Trojki", ein temporärer Zusammenschluss verschiedener NKVD-Mitarbeiter, waren von Bedeutung. Die Untersuchung der sowjetischen Deportationspraxis ermöglichte es, die Funktionsweise dieser Institutionen sowie ihre personalen Strukturen zu rekonstruieren. Trotz einiger oberflächlicher Gemeinsamkeiten in der Durchführung der Deportationen wiesen die deutschen und sowjetischen Verwaltungsstrukturen entscheidende Unterschiede auf. So war die deutsche Deportationspolitik stärker mit einer umfassenden Siedlungspolitik verbunden, während die Sowjetunion in erster Linie politische Säuberungen anstrebte. Ein zentrales Ergebnis des Projekts war die Rekonstruktion des Schicksals der deportierten Menschen. Das Projekt beleuchtet nicht nur die brutalen Auswirkungen der Deportationen, sondern zeigt auch, wie die Deportierten trotz ihrer extremen Notlage versuchten, ihr Schicksal mitzugestalten. Zudem zeigte sich, dass die Gesellschaften in den besetzten Gebieten unterschiedliche Reaktionen auf die Deportationen hatten. Die Zurückgebliebenen reagierten mit Hilfe, Gleichgültigkeit oder wurden sogar zu Mittätern. Zusammenfassend trägt das Projekt zu einem tieferen Verständnis der Deportationen bei, indem es die verschiedenen institutionellen und gesellschaftlichen Dimensionen beleuchtet. Es zeigt, wie beide totalitäre Regime Zwangsumsiedlungen als Mittel zur Festigung ihrer Macht einsetzten und bietet neue Einblicke in die komplexen Prozesse der Besatzung.
- Ludwig Boltzmann Gesellschaft - 11%
- Universität Klagenfurt - 89%
- Barbara Stelzl-Marx, Ludwig Boltzmann Gesellschaft , assoziierte:r Forschungspartner:in
- Andrea Löw, IFZ - Institut f. Zeitgeschichte - Deutschland
- Frank Bajohr, IFZ - Institut f. Zeitgeschichte - Deutschland
- Felix Ackermann, Deutsches Historisches Institut Warschau - Polen
- Grzegorz Hryciuk, Uniwersyta Wroclawski - Polen
- Malgorzata Ruchniewicz, Uniwersyta Wroclawski - Polen
- Sofia Dyak, Center for Urban History of East Central Europe in Lviv - Ukraine
Research Output
- 16 Zitationen
- 4 Publikationen
- 1 Wissenschaftliche Auszeichnungen
- 3 Weitere Förderungen
-
2024
Titel Fahrt ins Ungewisse. Die deutschen und sowjetischen Deportationen im doppelt besetzten Polen 1939-1941 im Vergleich Typ PhD Thesis Autor Hannah Claudia Riedler -
2019
Titel The Transcription Factor MAZR/PATZ1 Regulates the Development of FOXP3+ Regulatory T Cells DOI 10.1016/j.celrep.2019.11.089 Typ Journal Article Autor Andersen L Journal Cell Reports Link Publikation -
0
Titel A "Happy Generation, born in a free Poland": Children Deported from Eastern Poland to the Soviet Interior 1940-1941 Typ Journal Article Autor Riedler H Journal East Central Europe -
0
Titel Fahrt ins Ungewisse. Die deutschen und sowjetischen Deportationen im doppelt besetzten Polen 1939-1941 im Vergleich Typ Other Autor Riedler H
-
2025
Titel Irma Rosenberg-Förderpreis für die Erforschung der Geschichte des Nationalsozialismus 2024 Typ Research prize Bekanntheitsgrad Continental/International
-
2023
Titel Fellowship DHI Warschau Typ Fellowship Förderbeginn 2023 Geldgeber Deutsches Historisches Institut Warschau -
2022
Titel Fellowship am Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München Typ Fellowship Förderbeginn 2022 Geldgeber Institut für Zeitgeschichte -
2023
Titel EHRI Conny Kristel Fellowship Typ Travel/small personal Förderbeginn 2023 Geldgeber German Federal Archives