INTRA-SPACE: Die Reformulierung architektonischen Raums als dialogische Ästhetik
INTRA-SPACE: the reformulation of architectural space as a dialogical aesthetic
Wissenschaftsdisziplinen
Bauwesen (40%); Informatik (15%); Kunstwissenschaften (45%)
Keywords
-
Architecture,
Movement Practice,
Theory of Architecture and Space,
Dialogical Aesthetics,
Immersive Visualization,
Artificial Intelligence
Die Geschichte der Architektur, so der Ausgangspunkt dieses Projekts, ist die Geschichte der Verknüpfung von Figur und Raum und nicht nur eine Geschichte von Gebäuden. Vom Vitruvianischen Menschen (22 B.C.) zu Le Corbusiers Modulor (1948) bis Marcos Novaks Liquid Architecture (1991) haben Architekten diese Verknüpfung als Anlass und Maß genommen, um sowohl Figur als auch Raum neu zu verhandeln. Sowie die Naturwissenschaften traditionell Raum als träge Kraft erfasst hatten, hat auch die Architektur Raum als passive Einheit, vom Menschen unbeeinflusst, wiedergegeben. In Anbetracht der aktuellen wissenschaftlichen Re- Konzeptualisierungen (Barad, 2007) und dem Bedürfnis, den sich rasant wandelnden, digital aktivierten Lebensraum zu begreifen, verweisen Philosophen (Massumi, 2002; Sloterdijk, 2009), Architekturtheoretiker (Teyssot, 2004; Kwinter, 2013) und Künstler (Graham, 1979; Gabriel, 1993; Pomassl, 2002; Atlas, 2013; Mitchell, 2014) auf die überholte Betrachtung des Raums als passive und träge Einheit. Nun liegt es an der Architektur und den Künsten dieses dynamische, zwischen menschlicher Aktion und Raum wechselnde Verhältnis des digitalen Zeitalters als gegenseitige Interaktion neu zu formulieren. Gleichzeitig evozieren aktuelle Entwicklungen in interaktiver Technologie und künstlicher Intelligenz völlig neue Arten der Raumproduktion. Jedoch bleibt eine fortwährende Auseinandersetzung, inwiefern diese Theorien und Technologien eine reziproke Interaktion und sinnstiftende Beschäftigung mit solch digital aktivierten Räumen ermöglichen könnten, in der architektonischen Forschung bisher aus. Zeitgenössische architektonische Umsetzungen repräsentieren diese, auch wenn digital entworfen, immer noch als passive Einheit, in deren Geometrie der Körper eingeschrieben wird. Das vorliegende Projekt soll zeigen, dass durch eine neuartige Verknüpfung von künstlerischer und technologischer Forschung, diese beschränkte Betrachtung überwunden werden kann und sich somit aktuellen wissenschaftlichen wie philosophischen Neudefinierungen des Raums öffnen und annähern kann. Dabei werden besonders Möglichkeiten einer dialogischen interaktiven Ästhetik (Barker, 2012) basierend auf gegenseitig interagierenden Handlungen von Menschen und digitalen Charakteren innerhalb immersiver Visualisierungssysteme (Scheer, 2011) untersucht. Dialogische interaktive Ästhetik erlaubt Besuchern und intelligenten, digitalen Figuren gegenseitig miteinander zu interagieren, sodass sie den Raum aktiv verändern. Immersive Visualisierungssysteme lösen den Besucher aus seiner passiven Rolle des Zusehers und ermöglichen ein dynamisches Einbinden in den Raum. Auf diese Weise kann Raum mittels künstlerischer Forschung durch gegenseitige Interaktion zwischen Mensch und digitalem Handelnden neu verhandelt werden. Diese neuartige, dynamische Verknüpfung zwischen Mensch und digitaler Figur ist der Ausgangspunkt für die Erforschung eines neuen Raumbegriffs, intra-space. Dieser wird durch intra-aktion aktiv kreiert und durch den Prozess der Interaktion dynamisch modifiziert. Durch das Zusammenschließen dieser zwei Systeme wird eine experimentelle Neubetrachtung von architektonischem Raum möglich gemacht.
INTRA-SPACE: die Reformulierung des architektonischen Raums als dialogische Ästhetik erforscht intra-aktion zwischen Menschen und digitalen Figuren als verkörperte, räumliche Erfahrung. Das Forschungsprojekt untersucht die Potenziale von INTRA SPACE als neuartiges, experimentelles Raumphänomen und bezieht sich dabei auf das theoretische Konzept der intra-aktion, wie es von der Philosophin, Physikerin und feministischen Theoretikerin Karen Barad erstmals beschrieben wurde. Mit Bezug auf Barads konzeptioneller Neuvermessung der Grenzen zwischen Apparatur und Mensch als sich ständig aktualisierende Verhältnisse und die daraus resultierenden neuen Ansätze der Erkenntnis- und Wissensproduktion, konstruiert das Forschungsprojekt INTRA SPACE eine experimentelle Verräumlichung basierend auf dieser Auseinandersetzung. Als körperliche, multidimensionale Erfahrung ermöglicht die in INTRA SPACE entworfene Apparat/Mensch Figuration Überlagerungen von maschinischen, menschlichen und digitalen Sensorien, die unentwirrbar miteinander verwoben sind, (über)lebensgroße Projektionen digitaler Figuren, Menschen sowie ein technisches Rahmenwerk. Ein wesentlicher Bestandteil dieses experimentellen Wahrnehmungsraums ist die andauernde, gegenseitige Vermessung mittels einer Echtzeit Bewegungsverfolgung (Motion-Tracking). Dieses System erfasst die Bewegungen und das Verhalten von einer Person bis zu einer kleinen Gruppe von fünf Personen und überträgt deren Handlungen unmittelbar auf digitale Figuren, welche auf Leinwänden projiziert, sichtbar werden. Das künstlerisch-technologische Forschungsprojekt betrachtet die menschliche Figur als sich ständig aktualisierende Konstruktion: die Architektur kollabiert in den Körper, wird dabei verkörpert und durchlässig. INTRA SPACE bietet hierfür eine technische und konzeptionelle Infrastruktur, die Einrichtung eines schwellenlosen Zwischenraums für das gleichberechtigte Aufeinandertreffen von digitalen, maschinischen und menschlichen Sensorien. Aus dieser differenzierten Perspektive, die sich von einem einzigen Berührungspunkt zu einem sensorischen Raum aufspannt, wird der Körper in Bewegung als unmittelbare, aufnahmefähige Einheit im Verhältnis zur Umgebung neu verhandelt. Mögliche, zukünftige Anwendungen von INTRA SPACE könnten beispielsweise unterschiedliche Formen der Assistenz beinhalten, als verkörperte Version bereits existierender Systeme wie Apples Siri oder Amazons Alexa. Ebenso Formen menschlicher Anwesenheit in virtuellen Bereichen des Raums, sowie Projektionen und Hologramme als Varianten menschlicher Präsenz. Im medizinischen Bereich wäre ein Einsatz in der Rehabilitation bei physiotherapeutischen Behandlungen für Patienten, die an Wahrnehmungsstörungen, Beeinträchtigungen der Eigenempfindung oder unter eingeschränkter Beweglichkeit leiden, denkbar. Ferner könnte das System auch in der Wahrnehmungspsychologie, der Verhaltensforschung und dem Interaktionsdesign oder auch in den Neurowissenschaften zu Phänomenen wie etwa Out-of-Body Erfahrungen, angewandt werden, sowie zur Erweiterung des menschlichen Sensoriums.
- Michael Wimmer, Technische Universität Wien , assoziierte:r Forschungspartner:in
- Dennis Del Favero, University of New South Wales - Australien
- Michael Thielscher, University of New South Wales - Australien
- Christian Theobalt, Max-Planck-Institut für Informatik - Deutschland
- Ursula Frohne, Universität Münster - Deutschland
- Yvonne Wilhelm, Zurich University of the Arts - Schweiz
Research Output
- 1 Zitationen
- 6 Publikationen
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2020
Titel Immersive Intelligent Aesthetics as Conduit for Digital and Public Humanities Research DOI 10.30687/mag//2020/01/001 Typ Journal Article Autor Thurow S Journal 1 | 1 | 2020 Fusions Link Publikation -
2020
Titel Anti-Ekstasis DOI 10.1515/9783035622164-030 Typ Book Chapter Autor Jauernik C Verlag De Gruyter Seiten 192-195 -
2016
Titel Figuren. Plattformen und Atmosphären. Typ Journal Article Autor Tschapeller W Journal Journal manege für architektur; generationen: vorbereitung für den wandel -
2016
Titel Anziehung, Ableger, Zirkel. Typ Journal Article Autor Jauernik C Journal Journal manege für Architektur; generationen: vorbereitung für den wandel -
2020
Titel Immersive Intelligent Aesthetics as Conduit for Digital and Public Humanities Research DOI 10.14277/mag/2724-3923/2020/01/001 Typ Other Autor Del Favero D Link Publikation -
2020
Titel Immersive Intelligent Aesthetics as Conduit for Digital and Public Humanities Research DOI 10.14277/mag/2020/01/001 Typ Other Autor Del Favero D Link Publikation