Das Johannesevangelium und seine ursprünglichen Adressaten
The Gospel of John and its original Readers: A new approach
Wissenschaftsdisziplinen
Geschichte, Archäologie (20%); Philosophie, Ethik, Religion (50%); Sprach- und Literaturwissenschaften (30%)
Keywords
-
New Testament,
Gospel of John,
Textual Criticism,
Collocation Analysis,
Latin,
Coptic
Das Johannesevangelium als Teil des Neuen Testaments stellt einen zentralen Text der Christenheit dar. Eine der spannenden Fragen ist jedoch, für wen dieses Evangelium ursprünglich geschrieben wurde. Oder, um es anders zu formulieren: In welchem Kontext dieses Evangelium ursprünglich entstand. Das Evangelium scheint diesbezüglich widersprüchliche Hinweise zu enthalten. Deswegen wurden sowohl ein eher judenchristlicher Entstehungszusammenhang wie auch eine vorwiegend hellenistische Gemeinde als ursprünglicher Adressat des Evangeliums vorgeschlagen. Weitgehende Übereinstimmung besteht in diesem Zusammenhang vor allem in der Frage des Entstehungsortes. Dieser muss außerhalb des Heiligen Landes gelegen haben, wobei meistens Ephesus oder zumindest das Gebiet Kleinasien als Entstehungsort vorgeschlagen wird. Es ist offensichtlich, dass es sich hierbei um eine sehr wichtige Frage handelt. Das gilt sowohl für die historische, wie auch für die theologische Forschung. Im Falle einer überzeugenden Antwort auf dieses Problem könnte ein Detail der frühchristlichen Geschichte erhellt werden. Dies würde das Verständnis einer entscheidenden Zeit in der Geschichte einer der Weltreligionen vertiefen - und gerade für diese Anfangszeit des Christentums sind noch immer zahlreiche Details unbekannt. Für die theologische Forschung bedeutet eine bessere Kenntnis der vom Verfasser des Johannesevangeliums vorausgesetzten Leser und Hörer des Textes eine wichtige Information für ein besseres Verständnis des Textes. Im Moment sieht es so aus, als ob alle verfügbaren Argumente ausgetauscht wären und deswegen ein Forschungsfortschritt nicht mehr zu erzielen sei, während die Diskussion, sich auf die bereits bekannten Argumente beschränkend, in dieser Frage bisher zu keinem Ergebnis gekommen ist. Das vorgeschlagene Forschungsvorhaben zielt auf eine Verbindung einer linguistischen Analyse (Kollokationsanalyse der griechischen Version des Johannesevangeliums) mit einer breiten textkritischen Untersuchung der Überlieferung des Johannesevangeliums ab. Grundlage der textkritischen Untersuchung wird neben der griechischen Überlieferung das Lateinische und das Koptische sein. Diese frühen Übersetzungen können einerseits handschriftliche Überlieferungen des Griechischen bezeugen, die verloren gegangen sind, können aber andererseits auch und gerade in ihrer Übersetzungstechnik wichtige und bisher übersehene Hinweise auf das geben, was der Verfasser des Johannesevangeliums an Wissen bei seinen Lesern vorausgesetzt hat. Aufgrund neuer, elektronischer Hilfsmittel ist die handschriftliche Überlieferung heute viel besser zugänglich als noch vor wenigen Jahren. Wie im Antrag gezeigt, wird das Forschungsprojekt weitere Argumente zur Frage liefern, welche Voraussetzungen der Verfasser des Johannesevangeliums bezüglich seiner ursprünglichen Leser macht. Damit können wichtige - und möglicherweise sogar entscheidende - Argumente für eine bisher ungelöste Frage geliefert werden.
Das Johannesevangelium wird gemeinhin als spätestes der vier Evangelien angesehen. Es zeige, so die weit verbreitete Ansicht, in besonderer Weise eine Distanz zum Judentum. Diese Ansicht wird durch die Art, wie dieser Text ausgelegt wird, bestärkt. Es scheint durchaus möglich, dass die Wahrnehmung des Johannesevangeliums als spätes und vom Judentum distanziertes Evangelium eine entsprechende Interpretation des Textes unterstützt und einer entsprechenden Auslegung Vorschub leistet. Für das Projekt war eine neue literaturwissenschaftliche Analysemethode entwickelt worden, die Methoden der Literaturwissenschaft und der Übersetzungswissenschaft verbindet. Diese eröffnete in einigen Bereichen eine durchaus neue und andere Sicht auf den Text. Im Rahmen des Projekts wurde unter anderem eine Analyse der Erzählung von der Begegnung zwischen Jesus und der Samaritanerin am Jakobsbrunnen durchgeführt (Joh 4,442). Dieser Text wird in der gängigen Auslegung meist auf die Öffnung der christlichen Mission auf nicht- jüdische Hörerinnen und Hörer interpretiert. Die Samaritanerin wird dabei als halbe Heidin gedeutet. Das eher überraschende Ergebnis der genauen literarischen und philologischen Analyse der Passage war, dass detaillierte Kenntnisse des Judentums und der anderen, mit Jakob und seinen Söhnen verbundenen, Traditionen vorausgesetzt werden, die eine von der gängigen Auslegung abweichende Deutung des Textes als diesem angemessener nahelegen. Auf der literarischen Ebene beansprucht die Samaritanerin für sich den Status einer Tochter Israels, wobei die Samaritaner, die aus den Stämmen Ephraim und Manasse hervorgegangen waren, auch durch die Dialoge korrekt als das Haus Joseph beschrieben werden. Es darf in diesem Zusammenhang als bemerkenswert bezeichnet werden, welche detaillierten Informationen über die Samaritaner und ihre Herkunft in diesen narrativen Text des Johannesevangeliums eingebettet sind. Gleichzeitig ist natürlich durch den Anspruch der Samaritanerin, dass sie dem Haus Jakob zuzurechnen sei, eine Deutung, dass sie stellvertretend für das Heidentum stünde, nicht dem Text entsprechend. Vielmehr steht sie für die Stämme Israels und macht ihren Anspruch deutlich, durchaus in dem Sinn Gott zu verehren, in dem auch die Juden zur Zeit Jesu Gott verehrten: Eine Position, die weit von dem Synkretismus der Antike entfernt ist. Als weiterer Bereich, in dem weitreichende Ergebnisse erzielt wurden, ist die Übersetzung des Johannesevangeliums zu erwähnen. Eher paraphrasierende und pauschal formulierende Übersetzungen einzelner Verse konnten präzisiert und dabei einer neuen Deutung zugeführt werden. Insgesamt konnte damit das Forschungsprojekt exemplarisch zeigen, dass die Kombination unterschiedlicher Methoden aus den Bereichen Literaturwissenschaft und Übersetzungswissenschaft auch bei einem so bekannten Text wie dem Johannesevangelium neue Ergebnisse möglich macht.
- Universität Wien - 100%
- Holger Strutwolf, Universität Münster - Deutschland
- Folker Siegert, Westfälische Wilhelms-Universität - Deutschland
- David Parker, The University of Birmingham - Großbritannien
- Stanley E. Porter, McMaster Divinity College - Kanada
Research Output
- 21 Zitationen
- 9 Publikationen
-
2014
Titel Textual Criticism and the Interpretation of Texts: The Example of the Gospel of John. Typ Book Chapter Autor Förster H -
2016
Titel Der Begriff s?µe??? im Johannesevangelium DOI 10.1163/15685365-12341504 Typ Journal Article Autor Förster H Journal Novum Testamentum Seiten 47-70 Link Publikation -
2016
Titel Zur Bestimmung des Interrogativpartikels µ? in Joh 7:35 DOI 10.1163/15685365-12341505 Typ Journal Article Autor Swoboda U Journal Novum Testamentum Seiten 135-154 Link Publikation -
2014
Titel Die johanneischen Zeichen und Joh 2:11 als möglicher hermeneutischer Schlüssel DOI 10.1163/15685365-12341444 Typ Journal Article Autor Förster H Journal Novum Testamentum Seiten 1-23 -
2013
Titel Die Perikope von der Hochzeit zu Kana ( Joh 2:1-11) im Kontext der Spätantike DOI 10.1163/15685365-12341420 Typ Journal Article Autor Förster H Journal Novum Testamentum Seiten 103-126 Link Publikation -
2015
Titel Die Begegnung am Brunnen (Joh 4.4–42) im Licht der „Schrift“: Überlegungen zu den Samaritanern im Johannesevangelium* DOI 10.1017/s0028688514000320 Typ Journal Article Autor Förster H Journal New Testament Studies Seiten 201-218 Link Publikation -
2016
Titel Überlegungen zur Grammatik von Joh 8,25 im Lichte der handschriftlichen Überlieferung DOI 10.1515/znw-2016-0001 Typ Journal Article Autor Förster H Journal Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Seiten 1-29 Link Publikation -
2014
Titel The Gospel of John and Its Original Readers. Typ Book Chapter Autor Förster H -
2015
Titel Die syntaktische Funktion von ?t? in Joh 8.47* DOI 10.1017/s0028688515000302 Typ Journal Article Autor Förster H Journal New Testament Studies Seiten 157-166 Link Publikation