Von der Angst zur Annäherung - Ein einheitlicher Prozess

Was wird nach meinem Tod mit mir passieren? Was ist der Sinn des Lebens? Dies sind nur zwei von unzähligen existentiellen Fragen, mit denen Menschen sich auseinandersetzen müssen und die sie letztlich nicht mit Gewissheit beantworten können. Die sozialpsychologische Forschung der letzten beiden Jahrzehnte hat gezeigt, dass sich Menschen häufig symbolischer und indirekter Verteidigungsmechanismen bedienen, um mit existentiellen Ängsten besser umgehen zu können. Zu diesen Mechanismen gehören die Identifikation mit Weltsichten, Ideologien und Gruppen. Mehrere Forschungstraditionen haben versucht und versuchen noch immer, Erklärungsmodelle für solche Phänomene zu liefern. Dabei postulieren sie unterschiedliche Motive wie Selbstwert, Kontrolle, Sicherheit oder Sinn, die von existenziellen Bedrohungen frustriert werden. In diesen Denkschulen werden Verteidigungsreaktionen als Versuche, solche Frustrationen auszugleichen, dargestellt. Dies hat naturgemäß zu einer Debatte darüber geführt, ob es dabei nur ein Grundmotiv oder mehrere Motive gibt, bei denen eventuell eine Art Bedürfnishierarchie vorliegt. Diese Fragen sind bislang ungeklärt und stellen möglicherweise eine andere wichtige Frage in den Schatten, nämlich jene nach dem psychologischen Prozess, der zwischen Bedrohung und Verteidigung abläuft. Genau dieser Frage widmet sich der vorliegende Forschungsantrag. In einem gemeinsamen Paper (Jonas et al., 2013) haben wir eine theoretische Sichtweise vorgeschlagen, die auf einer neuropsychologischen Angsttheorie (Gray & McNaughton, 2000) basiert. Existentielle Bedrohungen stellen Zielkonflikte dar, welche das Behavioral Inhibition System (BIS) aktivieren, was sich im Verhalten und Erleben durch emotionale Erregung, Vigilanz, und Vermeidungsverhalten äußert. Um gegen diesen Zustand vorzugehen, aktivieren Menschen automatisch das Behavioral Approach System (BAS), indem sie annäherungsmotivierte Verhaltensweisen ausführen. BAS-Aktivierung führt auf antagonistische Weise zu einer Herabregulation des BIS, und wird als Erleichterung und Linderung von Angst erlebt. In diesem Forschungsantrag wollen wir durch experimentelle psychologische Methoden eine Reihe von Vorhersagen dieses Modells überprüfen. In der ersten Studienreihe überprüfen wir, ob existenzielle Bedrohungen tatsächlich zu emotionaler Erregung, Vigilanz und Vermeidungsmotivation, den drei wichtigsten Outputs des BIS, führen. In der zweiten Studienreihe untersuchen wir, ob die Affirmation von Weltsichten, Ideologien und Gruppen, Annäherungsmotivation, den wichtigsten Output des BAS erzeugt. In der dritten Studienreihe werden wir das BAS künstlich aktivieren. Wir erwarten, dass dadurch Verteidigungsverhalten reduziert oder sogar vermieden wird. In der vierten Studienreihe werden wir uns mit dem Einsatz elektrophysiologischer Methoden dem zeitlichen Ablauf von BIS und BAS sowie der Übergangsphase zwischen den beiden Phasen widmen.

Trotz der Errungenschaften der modernen Zivilisation ist die Welt weit davon entfernt, ein sicherer oder berechenbarer Ort zu sein, und daher potenziell bedrohlich. Darüber hinaus haben Menschen oft mit grundlegenderen "existenziellen" Bedrohungen zu kämpfen: Sie fühlen sich schutzlos in die Welt geworfen und kämpfen mit Gefühlen von Unsicherheit, Sinnlosigkeit, Einsamkeit und Absurdität. Menschen reagieren auf diese Gefühle mit einer großen Anzahl von Verhaltensweisen, die man als "Verteidigung" bezeichnen kann. Verschiedene sozialpsychologische Theorien konzentrieren sich auf unterschiedliche Arten von Bedrohungen (z.B. Sterblichkeit, Unkontrollierbarkeit, Unsicherheit oder Sinnlosigkeit). In einer internationalen Zusammenarbeit haben wir ein integratives Modell von Bedrohung und Verteidigung vorgelegt. Es besagt, dass Abwehrreaktionen auf Bedrohung einem zweiphasigen Muster folgen: Auf eine anfängliche Phase des Konflikts und der Angst folgt eine Phase der konfliktfreien Annäherungsmotivation. In diesem Projekt war es unser primäres Ziel, dieses Modell empirisch zu überprüfen. Bedrohung aktiviert das sogenannte Behavioral Inhibition System (BIS), das im anterioren cingulären Cortex des Gehirns angesiedelt ist. Wenn das BIS aktiviert wird, erzeugt es eine Mischung aus vorübergehendem ängstlichen Affekt, Vermeidungsmotivation, Erregung und Aufmerksamkeitsfokussierung auf die Bedrohung. Menschen erleben diesen Zustand typischerweise als aversiv und sind motiviert, ihn zu verlassen, indem sie durch das Verhaltensaktivierungssystem (BAS) in einen weniger konfliktreichen Zustand übergehen, in dem sie sich auf positive, belohnende Dinge konzentrieren. Dieses Projekt trug dazu bei, die neuronalen Substrate der Systeme der Verhaltenshemmung und -aktivierung besser zu verstehen. Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie und der Elektroenzephalographie konnten wir zeigen, dass unterschiedliche Bedrohungen eine ähnliche BIS-bezogene neuronale Signatur erzeugen. Darüber hinaus haben wir neue Wege in der Konzeptualisierung von bedrohungsbedingter Erregung beschritten; so haben wir beispielsweise gezeigt, dass Bedrohungen zu selbstberichteter Erregung führen, ohne notwendigerweise eine messbare physiologische Aktivierung zu verursachen. Wir zeigten, dass Bedrohungs- und Abwehrphänomene im Kontext globaler Krisen im Zusammenhang mit Klimawandel, Migration und der COVID-19-Pandemie eine Rolle spielen. Obwohl wir nicht in der Lage waren, den "Flip" von BIS- zu BAS-Aktivierung anhand von Daten zur frontalen Asymmetrie zu bestimmen, entwickelten wir ein neues Paradigma, das funktionelle Unterschiede zwischen zwei Verteidigungsstrategien aufdeckte, die wir als direkte Auflösung und Palliation bezeichnen. Direkte Auflösung erhöht die Annäherungsmotivation, während die Angst unverändert bleibt; Palliation reduziert Angst, lässt aber Annäherungsmotivation unverändert.