Kulturen der Geburt im Spanien der Frühen Neuzeit II
The Interpretation of Childbirth in Early Modern Spain II
Wissenschaftsdisziplinen
Geschichte, Archäologie (20%); Soziologie (10%); Sprach- und Literaturwissenschaften (70%)
Keywords
-
Childbirth,
Life Cycle,
Female Letters,
Hagiography,
Slaves,
Foundlings
Niemand käme auf den Gedanken, der Tod sei bloß Stillstand des Herzen, Aussetzen der Körperfunktionen; als Kulturwesen denken wir Leichentücher, Särge, Grabsprüche und Trauer unwillkürlich mit. Warum wird über das andere Ende des Lebens die Geburt heute oft geredet, als sei es nur Sache des Köpers? Nur ein Vorgang, für den Frau und Baby Ärzte und Hebammen bräuchten, aber nicht Religion, Kultur und Gemeinschaft? Ganz anders in der Frühen Neuzeit: eine adelige Schwangere, sagen wir in Madrid, besuchte alle Marien-Altäre der Stadt, beriet sich mit ihrer Hebamme schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft, sie gebar im Rhythmus einer sich öffnenden Rose von Jericho und nach dem Zeitmaß geweihter Kerzen; sie lud die engsten Verwandten und Vertrauten an ihr Wochenbett und empfing Geschenke und Glückwünsche. War ein naher Verwandter kurz vor der Geburt verstorben, dann wurde das Kind oft auf seinen Namen getauft. Das konnte auch der Name eines eben verstorbenen Geschwisterkindes sein, den Tod von zu früh geborenen Kindern und früh verstorbenen Babys zu verarbeiten, das gehörte zum Leben der Zeit. Die weitreichende Einsicht: Geburt war kein isolierter Punkt, sie bestimmte den ganzen Fluss des Lebens, ja auch die Beziehung zu den Toten mit. Hier setzt der zweite Teil unserer Forschungen an, in drei großen Bereichen: Briefe von Adeligen handeln sehr oft von Geburten. Wenn Schwangere mit ihrer Mutter oder auch Großmutter korrespondierten, dann sprachen sie alle Aspekte des Kinderkriegens an, vom wirkungsvollen ehelichen Beischlaf bis zu Mitteln gegen Kinderkrankheiten. Wir hören aus ihnen Stimmen, die vielfältig von Geburt im weiblichen Lebenszyklus berichten. Heilige sind zuständig für Geburten: Eine Nonne, die im Ruf der Heiligkeit stand, war dort, wo sich eine schwere Geburt ereignete, stets willkommen. Mehr als 1000 Berichte von wundertätiger Intervention lebender oder verstorbener Heiliger sind in den gut 175 Viten gesammelt, die wir nun genau lesen werden, auf der Suche nach Dingen aus dem Alltag der Zeit und nach Formen gelebter Frömmigkeit. Sklavinnen und Findelkinder: Wie konnte eine Sklavin in Südspanien (gut 10% der Bevölkerung teilten dort ihr Schicksal der Unfreiheit) Mutterschaft leben? Was sagen Prozessakten, Freiheitsbriefe und andere Quellen dazu? Was erfahren wir aus Aufnahmebüchern von Findelhäusern über Mütter, die ihr Neugeborenes nicht behalten wollten oder konnten? Diese Zeugnisse vom Rand der Gesellschaft werden helfen, ein Bild auszugleichen, das von Palästen, Herzoginnen und Königskindern bestimmt ist. Geburt stellt Menschen oft vor Dilemmata und konfrontiert sie mit großen Schwierigkeiten. Genau deshalb kann sie so genau Auskunft über die geheimen Mechanismen des Sozialen und die variable Gültigkeit geteilter Werte geben. Homepage: childbirth.univie.ac.at; Digitale Zeitschrift: Avisos de Viena. Viennese Cultural Studies Digitale Ausstellung Cultures of Birth in Early Modern Spain and Europe (Museo de Ecologa Humana)
- Universität Wien - 100%
- Jesús M. Usunariz - Spanien
- José Antonio Fernández Fernández, Universidad de Navarra - Spanien
- Pilar Panero, Universidad de Valladolid - Spanien
- Mariela Fargas, University of Barcelona - Spanien
- Ruiz Carmona, University of Sevilla - Spanien