Die Wiener Basiliken-Palimpseste
The Vienna Basilica Palimpsests
Wissenschaftsdisziplinen
Geschichte, Archäologie (30%); Rechtswissenschaften (20%); Sprach- und Literaturwissenschaften (50%)
Keywords
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Greek palimpsests,
Greek palaeography,
Manuscript transmission (of Greek texts),
Basilica,
Graeco-Roman Law,
History of Legal Scholarship
Eine der Initiativen des römischen Kaisers Justinian (527565), dessen lange Herrschaft den Übergang vom antiken Römischen Reich zum Byzantinischen Reich des Mittelalters markierte, war die Kodifizierung des römischen Rechts. Gesetzliche Regelungen wurden in mehrere Sammlungen aufgenommen und in lateinischer Sprache kodifiziert. Dies bereitete der griechischsprachigen Bevölkerung des Reiches Probleme und führte daher zu griechischen Übersetzungen, Zusammenfassungen und Kommentaren. Die lateinischen Gesetzestexte wurden bald inoffiziell durch ihre griechischen Versionen ersetzt. Im 9. Jh., während einer allgemeinen kulturellen Wiederbelebung im Byzantinischen Reich, erwachte ein erneutes Interesse an der Vergangenheit, darunter auch für das justinianische Recht. Die Verbreitung von Gesetzen in getrennten Sammlungen und unterschiedlichen Versionen hatte es schwierig gemacht, das für ein bestimmtes Problem Relevante zu finden. Die Lösung wurde in einer Konsolidierung der gesamten Gesetzgebung gesucht. Der Prozess begann unter Kaiser Basileios I. (867886) und sein Endergebnis, die Basiliken, kaiserliche Gesetze, wurden um 900 von Kaiser Leo VI. (886912) erlassen. Die Basiliken sind der umfangreichste und umfassendste Gesetzestext des Byzantinischen Reiches und ein wichtiger Zeuge des Justinianischen Corpus iuris civilis. Sie galten bis in die Neuzeit hinein als Vorbild. Von dieser bedeutenden Rechtssammlung sind nur wenige Handschriften auf uns gekommen. Darüber hinaus sind die Basiliken nicht vollständig erhalten, da 16 der 60 Bücher des Originals verloren gegangen sind. Die Entdeckung zweier Handschriften beachtlichen Alters, aus dem 10. und 11. Jh., in zwei griechischen Palimpsesten der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien vor 20 Jahren eröffnete neue Perspektiven. Im 12. Jh. und um 1200 wurde der Basiliken-Text dieser Handschriften vom Pergament abgewaschen und abgekratzt und der teure Beschreibstoff wurde für christliche Texte wiederverwendet. Die neuen Texte wurden dabei mit schwarzer Tinte über die Basiliken geschrieben und verdeckten so weitgehend den ursprünglichen Text. Mit Hilfe früher verfügbarer technischer Mittel konnten Jana Gruskov, eine Altphilologin, die die Handschriften entdeckte, und Bernard H. Stolte, ein führender Experte für byzantinische Rechtsgeschichte, bisher 5560% der getilgten Texte entziffern und untersuchen. Es stellte sich heraus, dass die Wiener Handschriften, ein Volltextexemplar und ein Florilegium, älter sind als die meisten anderen erhaltenen Basiliken-Handschriften und teilweise bisher unbekannte Abschnitte und Lesarten enthalten. Ziel des Projekts ist eine vollständige Entzifferung dieser Palimpseste und deren umfassende Erforschung. Um die getilgten Schriften sichtbar zu machen, werden modernste nicht-invasive Methoden der digitalen Wiedergewinnung eingesetzt. Die beiden einzigartigen, über Jahrhunderte verborgen gebliebenen Textzeugen werden in eingehenden Forschungspublikationen zugänglich gemacht.
- Diether Roderich Reinsch, Freie Universität Berlin - Deutschland
- Dieter Simon, Humboldt-Universität zu Berlin - Deutschland
- Leif Glaser, Universität Hamburg - Deutschland
- Sebastian Bosch, Universität Hamburg - Deutschland
- Brigitte Mondrain, Sonstige öffentl. rechtl. Forschungseinrichtung - Frankreich
- Giuseppe De Gregorio, Università degli Studi di Salerno - Italien
- Bernard H. Stolte, University of Groningen - Niederlande
- Thomas Ernst Van Bochove, Universität Groningen - Niederlande
- Michael Phelps, University of California - Vereinigte Staaten von Amerika
- Nigel G. Wilson, University of Oxford - Vereinigtes Königreich