Wissenschaftsdisziplinen
Andere Geisteswissenschaften (25%); Geschichte, Archäologie (50%); Soziologie (25%)
Keywords
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Kinship,
Marriage,
Dispensation Practice,
Administration,
Domestic Organisation,
Regional Patterns
Das Feld der Historischen Verwandtschaftsforschung hat sich in den letzten Jahren ausdiffe- renziert. Wesentlich ist die Erkenntnis, dass die immer wieder aus der europäischen Geschichte der Neuzeit verabschiedete Verwandtschaft auch in der Moderne als Ordnungs- und Orientierungsstruktur, als Wissensformation, als Kategorie, die Inklusion und Exklusion schafft, weiterhin wirksam war. Verwandtschaft ist daher als wesentliches Strukturierungs-prinzip von sozialen Beziehungen, von Beziehungen zwischen den Generationen und inner-halb von Generationen sowie zwischen den Geschlechtern zu werten. Ein markantes Phänomen stellt der ab Mitte bzw. Ende des 18. Jahrhunderts beobachtbare Anstieg von Heiraten in den nahen Verwandtschaftsgraden dar. Schwägerschaft war parallel zur Blutsverwandtschaft mit Eheverboten belegt. Im katholischen Kontext blieben diese vier Generationen zurückreichend aus normativer Sicht von 1215 bis 1917 unverändert gültig und wirkmächtig. Zur Aufhebung dieser Eheverbote bedurfte es so genannter Dispensen, die für die nahen Grade in der Regel die päpstlichen Stellen in Rom erteilten. Ziel des Buches ist es, ein regional und sozial differenziertes Bild zu zeichnen. Entgegen der in einschlägigen Studien bisweilen vertretenen Meinung stellten Dispensierungen in der hier zur Debatte stehenden Zeit keinen reinen Formalakt dar. Dies zeigen die zahl-reichen abgelehnten Ansuchen und das aufwändige administrative Prozedere. Mit dem Ein-greifen des österreichischen Staates in die Regelung der Eheverbote und in die Abläufe der Dispensvergabe ab den 1770er Jahren und vor allem mit dem Ehepatent (1783) nahm das staatliche und kirchliche Verwalten von Verwandtschaft in seinen konfligierenden und kooperierenden Formen vielmehr einen zentralen und zugleich politischen Rang ein. Wie um-kämpft dieses Feld gerade ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert war, macht das von theologischen, juristischen, medizinischen, naturwissenschaftlichen Positionen geprägte Diskurs-feld deutlich (Kap. 1). Ebenso kontrovers nehmen sich aus der Perspektive der untersuchten Diözesen Brixen, Chur, Salzburg und Trient die Logiken der mit der Dispenspraxis befassten Verwaltungen und Autoritäten von Kirche und Staat aus. Wie die Studie zeigt, konnte sich der aufgeklärte Staat über rechtliche Neuerungen, die Erleichterungen der Verwaltungsabläufe intendierten, gegenüber der Kirche nicht erfolgreich positionieren (Kap. 2). Sehr unter-schiedlich gestalteten sich im 19. Jahrhundert die Verwaltungsabläufe in den einzelnen Diözesen (Kap. 3). Ehen zwischen Cousins und Cousinen sind in der Forschungslandschaft deutlich präsenter als jene in der nahen Schwägerschaft. Verbindungen in der nahen Schwägerschaft waren in den 1830er und 1840er Jahren, während der Amtszeit von Gregor XVI., von päpstlicher Seite mit einer Politik der extremen Abwehr konfrontiert. Vermittlung und Empfehlung spielten in dieser schwierigen Situation eine ausschlaggebende Rolle. Zugleich machen diese Ansuchen vor allem in der klassischen Konstellation von Witwer und Schwägerin spezifische Logiken der räumlichen und sozialen Nähe sichtbar (Kap. 4). Wiewohl Meinungen über potenzielle gesundheitliche Folgeschäden, über Degeneration lange schon kursierten, mussten Cousins und Cousinen erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts mit Einschränkungen der Dispensvergabe rechnen (Kap. 5). Wenngleich die Sicherung von Vermögen über diese Art von Heiratsverbindungen in wohlhabenden Familien durchaus eine Rolle spielte, würde eine allzu mechanistische Koppelung von Verwandtenehen und ökonomischen Interessen gesamt gesehen zu kurz greifen.
- Universität Innsbruck - 100%