Wissenschaftsdisziplinen
Andere Geisteswissenschaften (50%); Geschichte, Archäologie (50%)
Keywords
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Homosexuality,
Friendship,
Women's History,
Relationship,
Gender History,
German History
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam es in vielen Ländern Europas, so auch im Deutschen Reich, zu tiefgreifenden sozialen, politischen und kulturellen Veränderungen. Neue politische Bewegungen wie die Frauenbewegung erlebten regen Zulauf und bisher tabuisierte Themen wie Sexualität wurden öffentlich diskutiert. Welche Rolle Fragen der Sexualität für die Frauenbewegung gespielt haben, ist z.B. anhand des Themas Prostitution erforscht worden. Wie die Aktivistinnen der Frauenbewegung sich zu Homosexualität positionierten und ob einige unter ihnen selbst homosexuelle Beziehungen führten, ist bisher kaum erforscht worden. Das Buch schließt diese Lücke für das Deutsche Reich: es fragt einerseits danach, wie in der Frauenbewegung um 1900 über Homosexualität nachgedacht und gesprochen wurde. Andererseits wird untersucht, wie die Frauen in der Bewegung miteinander lebten, welche Beziehungen sie führten und wie sie diese beschrieben. Grundlage der Untersuchung bilden Zeitschriften, Protokolle und Korrespondenzen von Vereinen sowie biografische Quellen, also private Briefe oder Notizbücher von Aktivistinnen. Darin zeigt sich, dass diese Frauen nicht nur gemeinsame politische Ziele verfolgten, sondern, dass die Bewegung auch den Rahmen für ein Leben unter Frauen schuf: auf Kongressen, in Wohnheimen, Klubs und Vereinen teilten Aktivistinnen das tägliche Leben. Viele lebten auch oft über Jahre oder Jahrzehnte als Paare zusammen. Dabei war die Frage, ob diese Frauen sexuelle oder platonische Beziehungen führten, nicht zentral. Aktivistinnen, die wie in einer Ehe zusammen wohnten, arbeiteten und reisten, waren anerkannt und galten als respektabel. Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist, dass sich die Beziehungen zwischen den Frauen nicht entlang geläufiger Zuschreibungen wie freundschaftlich, romantisch oder sexuell unterscheiden lassen. Um die vielfältigen, engen Beziehungen zwischen den Frauen dennoch beschreiben zu können, wird im Buch der Begriff intim verwendet. Ein weiteres Ergebnis des Buches ist, dass die Frauenbewegung unter großen Druck geriet, als die Sexualwissenschaft Ende des 19. Jahrhunderts populär wurde. Sexualwissenschaftliche Kategorien wie Homo- und Heterosexualität passten nicht zu den Lebensmodellen in der Frauenbewegung. Besonders, als im Zuge einer Reform des Strafrechts 1909 weibliche Homosexualität strafbar werden sollte, diskutierten Aktivistinnen, welche Position die Frauenbewegung dazu einnehmen sollte. Das Buch zeichnet die Debatten nach und zeigt die Auswirkungen sexualwissenschaftlicher und strafrechtlicher Kategorien auf die Frauenbewegung.
- Universität Wien - 100%