Gestaltungsprinzipien spätantiker Grabräume
Creative Principles of Late Antique Burial Chambers
Wissenschaftsdisziplinen
Kunstwissenschaften (40%); Philosophie, Ethik, Religion (60%)
Keywords
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Roman catacombs,
Christian iconography,
Early Christian art,
Late antique funeral culture,
Visual studies
Die vorliegende Studie arbeitet erstmals auf umfassender Materialbasis heraus, welche leitenden Prinzipien bei der malerischen Ausstattung spätantik-christlicher Grabräume bestimmend waren. Als Ausgangspunkt der Untersuchung dienen die Grabräume der römischen Katakomben (sog. cubicula), die als Familiengrablegen entlang der unterirdischen Galerien zwischen dem 3. Jh. und ausgehenden 4. Jh. bzw. beginnenden 5. Jh. n. Chr. angelegt und mit figürlichen Malereien dekoriert worden sind. Mithilfe eines bildwissenschaftlichen Zugangs, der die Wechselbeziehung zwischen Raum, Bild und Betrachter in den Vordergrund stellt, werden die Anordnung und Kombination häufig dargestellter Motive systematisch untersucht und sinnstiftende Strukturen im Zusammenspiel der Bilder sichtbar gemacht. Die Untersuchung kommt dabei zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass sich der Umgang mit Bildern am Grab keineswegs beliebig gestaltete, sondern bestimmte Regelmäßigkeiten aufweist: Mit 82 % tendiert die Mehrheit der untersuchten Bildmotive zu bestimmten Anbringungsorten im Grabraum; die übrigen 18 % weisen hingegen keine derartigen Präferenzen in ihrer Verteilung auf. Um dieses Bildphänomen zu benennen, wurde hier das Begriffspaar der positionsfavorisierenden und positionsflexiblen Motive eingeführt, welches zwei grundsätzliche Möglichkeiten im Umgang mit Bildern beschreibt. Regelmäßigkeiten werden aber auch in der Kombination der Motive greifbar. Neben Bilderzyklen, wie sie in der römischen Katakombenmalerei häufig in Form der Jonasgeschichte begegnen, zeigt die Auswertung des Bildbestandes, dass sich zwölf Kombinationen christlicher Bildszenen wiederholen. Tatsächlich weisen 56 % der untersuchten Grabräume eine oder mehrere dieser zwölf Kombinationen und/oder einen oder mehrere Bilderzyklen auf. Die Prinzipien der antiken Redekunst, die bislang vor allem in der römischen Wohnhausmalerei als Kategorien der Bildanalyse zur Anwendung kamen, liefern die Ausgangsbasis, um das Zusammenspiel der Bilder am Grab neu zu bewerten. Auf der Grundlage formaler und/oder inhaltlicher Bezugspunkte sind sich einander bestätigende und ergänzende sowie gegensätzliche Formen der Bildverknüpfung zu erschließen. Die aufgezeigten Gestaltungsprinzipien sind dabei nicht als statisch zu beschreiben. Vielmehr reagierten sie dynamisch auf ikonografische Verschiebungen im Bilderrepertoire und auf Veränderungen in der Architektur der Grabmonumente. Ein überregionaler Ausblick zeigt, dass sich die anhand der Katakomben herausgearbeiteten Prinzipien auch in zeitgenössischen Grabkontexten im Osten des Römischen Reiches wiederfinden lassen, sodass diese als Grundphänomene spätantiker Bildkultur zu verstehen sind. Die vorliegende Studie eröffnet damit nicht nur einen neuen Blickwinkel auf ein viel beforschtes Gebiet wie jenes der römischen Katakombenmalerei, sondern bietet gleichzeitig einen neuen Zugang zu den Ausdrucksformen visueller Bildkultur im spätantiken Christentum.