Transdifferenz in der Literatur deutschsprachiger Migrantinnen in Österreich-Ungarn
Transdifference in German-Language Literature by Austro-Hungarian Migrant Women Writers
Wissenschaftsdisziplinen
Andere Geisteswissenschaften (10%); Soziologie (25%); Sprach- und Literaturwissenschaften (65%)
Keywords
-
Transdifference,
Austria-Hungary,
Women Writers,
Migrant Literature
Das primäre Ziel des Habilitationsprojekts ist die Analyse des Subversionspotenzials der deutschsprachigen Literatur von Migrantinnen in Österreich-Ungarn (1867-1918) in literarisch hergestellten Momenten der Transdifferenz. In ihnen lässt sich das binäre Differenzdenken auflösen und eine spontan sich verlagernde Dominanz der interdependenten sozialen Kategorien (z.B. Gender, Ethnizität, Klasse/Schicht, Sexualität, Alter, Nation, Konfession, Profession, Kapitalverhältnis) sowie daraus resultierende transgressive Akten darstellen. Es gilt zu untersuchen, inwieweit Autorinnen wie B.v. Suttner, M.E. delle Grazie, A. Christen, G. Meisel-Heß, M. Janitschek, M. Roda Roda, I. v. Troll-Borostyny, E. Asenjieff , A. Astl-Leonhard, R. Barach oder etwa M. Preindlsberger-Mrazovics als (Binnen-)Migrantinnen ihr Erfahrungswissen über die multiethnischen Gebiete Österreich-Ungarns dazu nutzten, literarische Stereotype über soziale Minoritäten und Marginalisierte mittels transdifferenter Momente zu unterminieren. Dazu werden dekonstruktivistische Fragestellungen und Methoden aus der trans/interkulturellen sowie der kulturwissenschaftlich und soziologisch orientierten Literaturwissenschaft berücksichtigt. Um das Subversionspotenzial zu erfassen, werden intertextuelle Bezüge verfolgt und Hyper- und Hypotexte vergleichend analysiert. Im Projekt soll erforscht werden, ob sich daran ein Gegendiskurs festmachen lässt. Zweitens soll die Literatur der Autorinnen im literarischen Feld neu positioniert werden. In der Gegenüberstellung des Textmaterials mit vergleichbaren zeitgenössischen deutschsprachigen Texten von (männlichen) Migranten und NichtmigrantInnen wird nicht nur das inhaltliche, sondern auch das poetologische Innovationspotenzial dieser Literatur untersucht. Der Textkorpus soll mit Textsorten wie Märchen, Sagen, Dramen, Essays Zeitschriftenveröffentlichungen und autobiografische Schriften ein großes Spektrum umfassen und eine genauere Einschätzung der uvres ermöglicht. Der tradierte literarische Kanon wird in Bezug zur zeitgenössischen Rezeption der Texte gesetzt und soll auf dieser Basis hinterfragt und erweitert werden. Das dritte Ziel betrifft die Methodenentwicklung in zweierlei Hinsicht. Die im germanistischen Bereich bisher vor allem auf die gegenwärtige Migrationsliteratur fokussierten transkulturell-literaturwissenschaftlichen Fragestellungen sollen am historischen Textmaterial geschärft und im Hinblick auf das Kritikpotenzial der Texte bezüglich der dominanten Majoritätsgesellschaft weiterentwickelt werden. Das interdisziplinäre, doch stark soziologisch geprägte Konzept der Transdifferenz soll für die Literaturwissenschaft besser anwendbar gemacht werden. Dazu ist eine eingehende Sichtung des Materials in österreichischen Bibliotheken sowie den Schweizerischen, Slowenischen und Tschechischen Nationalbibliotheken notwendig. Das Projekt ist an der Philologisch- kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien am Institut für Germanistik angesiedelt. Kooperationen sind geplant mit: Institut für Geschichte, für Gender Studies und für Komparatistik der Universität Wien, Universität Trier (Germanistik), Universität Erlangen, ELTE-Universität Budapest (Germanistik), Central European University Budapest (Gender Studies).
Im Projekt Transdifferenz in der Literatur deutschsprachiger Migrantinnen in Österreich- Ungarn wurde die Grundannahme bestätigt, dass Migrantinnen aufgrund ihrer Erfahrungen des Andersseins als Fremde und Frauen die Problematik des Fremden und gesellschaftlich unterdrückter Randgruppen in einem überdurchschnittlichen Ausmaß gesellschaftskritisch thematisieren. Bei der Textauswahl wurde darauf geachtet, ob literarisch stereotype Figuren wie die junge Zigeunerin oder der alte Jude oder das böhmische Dienstmädchen der literarischen Konvention entsprechen oder diese unterwandern. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf literarisch gestalteten Momenten der Transdifferenz. Damit sind jene Szenen gemeint, in denen Figuren sich über die Grenzen ihrer sozialen Zugehörigkeiten (bezüglich Generation, Konfession, Berufsgruppe, Geschlecht, Sprachkultur, Klasse etc.) hinwegsetzen und sich entgegen der gesellschaftlichen Erwartungen verhalten. Das kann eine Liebe über Klassen- oder Kulturgrenzen hinweg bedeuten oder einen Akt der Solidarität oder eine moralische Verurteilung der eigenen Reihen. Die politische Haltung dahinter zielt einerseits auf die Festigung grundlegender demokratischer Werte ab: auf die Freiheit des Individuums, sein Recht auf Selbstbestimmung und Gleichbehandlung. Andererseits formulieren die Texte Positionen innerhalb gesellschaftlich bedeutender Diskurse der Zeit, zu denen etwa die Frauenbewegung, die Arbeiterbewegung oder der Pazifismus gehören. In transdifferent geprägten Texten werden häufig die hegemoniale Stellung des Deutsch-Österreichischen, des Römisch-Katholischen, des Adels und Großbürgertums in Österreich-Ungarn sowie die patriarchale Ordnung hinterfragt. Damit stellen sie Gegendiskurse dar. Die systematische Datenbank (http://www.univie.ac.atransdifferenz/), die als interaktive Plattform aufgebaut wurde, umfasst über 200 migrantische Autorinnen. Darin werden die Bandbreite an Autorinnen und Werken sowie die große Zahl schreibender Frauen ersichtlich, deren Namen damals einem großen Lesepublikum bekannt waren, heute jedoch in Vergessenheit geraten sind. Der literarische Kanon sollte deshalb überdacht werden. Neue Fragestellungen aus den Bereichen Kulturwissenschaft, Postkolonialismus, Soziologie, Gender Studies und Fremdheitsforschung wurden für die Analyse historischer Texte fruchtbar gemacht. Dabei wurde eine neue Methode zur Analyse von Transdifferenz erarbeitet, die sich auch in Bezug auf heutige Texte bewährt hat und Gegendiskurse sowie Gesellschaftskritik auch dann rasch sichtbar macht, wenn sie nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Das ist ein Zugewinn für jede Lektüre. Die Projektergebnisse wurden an mehreren internationalen und transdisziplinären Konferenzen präsentiert. 2014 fand die Projektkonferenz statt, deren Ergebnisse 2017 im Verlag transcript erscheinen. Die Habilitationsschrift, die auf dem Projekt basiert, ist in Bearbeitung.
- Universität Wien - 100%
- Susan Zimmermann, Central European University Private University - Ungarn
- Magdolna Orosz, ELTE University - Ungarn
- Endre Hars, University of Szeged - Ungarn
- Karoly Csuri, University of Szeged - Ungarn
Research Output
- 6 Publikationen
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2015
Titel Multitaskforce. Weibliche Reaktionen auf den Ersten Weltkrieg in deutschsprachigen Frauenzeitschriften und literarischen Texten aus Österreich-Ungarn. Typ Book Chapter Autor Millner A -
0
Titel Empörung! Besichtigung einer Kulturtechnik. Beiträge aus Literatur- und Sprachwissenschaft. Typ Other Autor Millner A -
2016
Titel Schmerz, Erbarmen und Lebensnerv. Marie Eugenie delle Grazies Drama "Schlagende Wetter" (1898) - über den Naturalismus hinaus gelesen. Typ Book Chapter Autor Millner A -
2015
Titel Die Ehe: eine Tragikomödie. Dramatische Variationen der Wiener Moderne zu einem zeitlosen Thema. Typ Book Chapter Autor Millner A -
0
Titel Project database. Typ Other Autor Millner A -
2015
Titel Literarische Verfahren als Spuren der Empörung. Zur deutschsprachigen Literatur von Migrantinnen in der späten Habsburger Monarchie. Typ Book Chapter Autor Alexandra Millner