Musikalische Salonkultur im amerikanischen Parlor 1850-1950

Die kulturelle Praxis einen Salon zu führen oder zu besuchen, war Teil eines breiten Spektrums häuslicher Geselligkeit des Bürgertums und in Europa ebenso der Aristokratie. Verschiedene Merkmale dieser Art von Geselligkeit lassen sich daher auf beiden Seiten des Atlantiks entdecken. Eine wesentliche Modifikation betraf jedoch den konkreten Ort, an dem die soziokulturelle Praxis stattfand: In US-amerikanischen Häusern existierten in der Regel keine Salons oder gute Stuben, und nur in sehr exquisiten Häusern fanden sich Drawing Rooms. Der typische Raum, in dem sich gesellige Aktivitäten im häuslichen Bereich abspielten, war der Parlor. Dennoch hatte dieser Ort für die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts eine besondere Bedeutung, die sich von ihren europäischen Äquivalenten unterschied. Der Parlor galt als Repräsentant zweier Tugenden, die für die US-amerikanische (obere) Mittelschicht von höchstem Rang waren: gentility Vornehmheit, Kultiviertheit und domesticity Häuslichkeit (Grier 1997). Das Projekt wird die Funktion und Nutzung des Parlors anhand von Hausgrundrissen aus Womens Magazines und Hausratgebernuntersuchen.Darüberhinaus wird die zeitgenössische Etiquetten-Literatur analysiert, um die für US-amerikanische Salongeselligkeiten typischen kulturellen Praktiken, die genteel performances (Halttunen 1982), zu untersuchen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den musikbezogenen Praktiken Musikhören und Musizieren sowie Tanzen liegt. Das Quellenmaterial weist darauf hin, dass es sich bei den genteel performances um einen direkten Kulturtransfer aus Europa handelt, was wiederum bedeutet, dass insgesamt zwei Arten des musikkulturellen Transfers untersucht werden: Zum Einen der Transfer der Praxis des Salonführens von Europa in die Vereinigten Staaten und zum Anderen der musikkulturelle Austausch innerhalb des jeweiligen Salons. Die eingehende Untersuchung von vier konkreten Fallbeispielen US-amerikanischer Salonkultur - Octavia Walton LeVert (1810-1877), Mobile, AL - Clara Kathleen Rogers (1844-1931), Boston, MA - Louise (1879-1953) und Walter Arensberg (1878-1954), New York, NY - Salka Viertel (1889-1978), Los Angeles, CA bildet eine weitere wichtige Säule des Projekts und ergänzt das eher normative Quellenmaterial von Zeitschriften und Etiquetten-Literatur. So können die jeweiligen Tendenzen des Quellenmaterials (Normativität vs. Exzeptionalität) ausgeglichen und die Vogelperspektive auf die US-amerikanische Salonkultur mit einer Froschperspektive verbunden werden.