Politisch motivierter Vermögensentzug in Wien 1933-1938
Politically Motivated Divestment of Property in Vienna 1933-1938
Wissenschaftsdisziplinen
Geschichte, ArchÀologie (40%); Rechtswissenschaften (60%)
Keywords
-
Austrofaschismus,
SDAPĂ,
KPĂ,
NSDAP,
Wien,
Parteienverbot,
Vermögensentzug,
Rechtliche Zeitgeschichte
Das Forschungsprojekt soll erstmals den aus politischen GrĂŒnden erfolgten Vermögensentzug im Austrofaschismus einer eingehenden wissenschaftlichen Untersuchung unterziehen. Angestrebt wird damit die Aufarbeitung einer wesentlichen politischen VerfolgungsmaĂnahme gegen die verbotenen politischen Parteien und ihre Mitglieder durch das autoritĂ€re DollfuĂ-Schuschnigg-Regime. Obwohl der Vermögensentzug als VerfolgungsmaĂnahme in wirtschaftlicher und sozialer Form eine umfassende und weitgehende Möglichkeit zur Ausschaltung der politischen Opposition darstellte, ist der Erkenntnisstand darĂŒber bloĂ marginal. Die mangelnde BerĂŒcksichtigung der Vermögensbeschlagnahme und -liquidierung unter der austrofaschistischen Diktatur ist aber nicht etwa auf eine geringe Bedeutung dieser MaĂnahme zurĂŒckzufĂŒhren, sondern entspricht v.a. der auf bestimmte markante politische Ereignisse reduzierten wissenschaftlichen Bearbeitung des Zeitraums zwischen 1933 und 1938. Mit diesem interdisziplinĂ€ren Forschungsvorhaben sollen die rechtlichen Aspekte des Vermögensentzugs und dessen administrative DurchfĂŒhrung durch die zahlreichen involvierten Behörden untersucht werden. Weiters ist der Frage nach dem von der Vermögensentziehung betroffenen Personenkreis, dem AusmaĂ, der IntensitĂ€t und Dauerhaftigkeit der Anwendung dieser MaĂnahme sowie den NutznieĂerInnen derselben nachzugehen. Das Projekt wird sich vornehmlich auf Archivquellen, und hierbei insbesondere auf bisher unbekannte zentrale AktenbestĂ€nde des fĂŒr den Vermögensentzug zustĂ€ndigen "BĂŒros fĂŒr Organisation und Kontrolle" sowie der "Liquidierungsstelle" der Bundes-Polizeidirektion in Wien, stĂŒtzen. Infolge der Vielzahl der zu behandelnden Themenfelder und der komplexen Quellenlage sind fĂŒr die Untersuchung der einzelnen Teilbereiche unterschiedliche ZugĂ€nge zu wĂ€hlen und verschiedene Methoden der historischen und juristischen Forschung anzuwenden, die sich nach den jeweiligen Forschungsfeldern und Forschungszielen zu richten haben, aber auch vom verfĂŒgbaren Datenmaterial bestimmt sind. Die Analyse der rechtlichen Aspekte wird sich zum einen der rechtstechnischen Konstruktion des Vermögensentzugs, zum anderen der rechtspolitischen Seite, also den vom Gesetzgeber verfolgten Absichten, widmen. Zumindest in Teilbereichen wird eine quantitative Auswertung des Vermögensentzugs vorgenommen werden. Inwieweit das gesamte AusmaĂ der Konfiskationen erfasst werden kann oder dies nur in Segmenten möglich sein wird, stellt eine der zu klĂ€renden Fragen dar. Untersucht und interpretiert werden soll weiters die behördliche Richtlinienpraxis und die Vorgehensweise der zustĂ€ndigen Abteilungen innerhalb der Bundes-Polizeidirektion in Wien. Neben der quantitativen Erhebung soll anhand von EinzelfĂ€llen der Umgang der Behörden mit den jeweiligen politischen GegnerInnen bzw. diesen zugehörigen juristischen Personen qualitativ analysiert und dargestellt werden, nach der jeweils spezifischen Situation der von dieser MaĂnahme Betroffenen gefragt sowie ein Vergleich einzelner FĂ€lle vorgenommen werden.
Nach der Ausschaltung des österreichischen Parlaments am 4. MĂ€rz 1933 wurden zahlreiche RepressionsmaĂnahmen gegen alle nicht regimetreuen politischen Parteien und Organisationen erlassen, darunter auch verschiedene vermögensrelevante VerfolgungsmaĂnahmen. Diese betrafen zunĂ€chst die KPĂ (26. 5. 1933), nach Einsetzen der ersten groĂen Terrorwelle die NSDAP (19. 6. 1933) und schlieĂlich auch die SDAPĂ (12. 2. 1934). Eine wissenschaftliche Aufarbeitung des politisch motivierten Vermögensentzugs im Austrofaschismus stellte bisher eine ForschungslĂŒcke dar. Das an der UniversitĂ€t Wien durchgefĂŒhrte interdisziplinĂ€re Forschungsprojekt hat es unternommen, diese zu schlieĂen, und damit weitgehend wissenschaftliches Neuland betreten.Systematisch wurden dabei die rechtlichen Aspekte des Vermögensentzugs analysiert, wobei sich die Rechtsmaterie aufgrund des Geflechts von Verordnungen, Bundesgesetzen und Verwaltungsakten als sehr komplex herausstellte. FĂŒr die administrative DurchfĂŒhrung des Vermögensentzugs schuf das Regime keine eigene Behörde, die alle Agenden der Vermögensentziehung in sich vereinigte. Die Kompetenzen verteilten sich vielmehr auf die dem Bundeskanzleramt unterstehende Generaldirektion fĂŒr die öffentliche Sicherheit, zustĂ€ndig fĂŒr die Vorgabe der Richtlinien und die endgĂŒltige Liquidation, sowie auf die im MĂ€rz 1934 geschaffene Liquidierungsstelle und das BĂŒro fĂŒr Organisation und Kontrolle der Bundespolizeidirektion Wien, zustĂ€ndig fĂŒr die DurchfĂŒhrung des Beschlagnahmeverfahrens. Daneben war noch eine groĂe Zahl weiterer staatlicher Dienststellen sowie Interessensvertretungen, Banken etc. und als HilfskrĂ€fte der Beschlagnahmebehörde auch TreuhĂ€ndige Verwalter involviert.Eine rasche DurchfĂŒhrung des Vermögensentzugs war aufgrund des schwerfĂ€lligen Behördenapparates, aber auch des unzureichenden und unprofessionellen Personals nicht möglich. Hinzu kam, dass der Entzug des Vermögens der in erster Linie davon betroffenen Sozialdemokratie sich vor allem wegen der Vermengung des Parteivermögens mit jenem ihrer Vereine und Organisationen als schwierig erwies und in jedem Einzelfall eine Flut an GlĂ€ubigeransprĂŒchen geprĂŒft werden musste.Der Vermögensentzug zielte maĂgeblich auf Parteien ab, wĂ€hrend Einzelpersonen nur geringfĂŒgig davon betroffen waren. In Wien wurden mindestens 462 Vereine der verbotenen politischen Parteien aufgelöst, wovon 395 auf die SDAPĂ entfielen, von der hunderte Mietobjekte und zumindest 69 Eigenheime beschlagnahmt wurden. Hauptprofiteur waren die staatlichen Behörden, aber auch VaterlĂ€ndische Front, Heimatschutz, OstmĂ€rkische Sturmscharen und katholische Vereine gingen als NutznieĂer daraus hervor. Nachdem die weitaus gröĂten wirtschaftlichen Einrichtungen nach handelsrechtlichen GrundsĂ€tzen zu liquidieren waren oder unter Aufsicht standen, waren sie jedoch dem Zugriff der Beschlagnahmebehörde entzogen. Hinsichtlich des Entzugs von individuellem Vermögen waren insbesondere die aus politischen GrĂŒnden AusgebĂŒrgerten sowie ein kleiner Teil der am Juliputsch beteiligten Nationalsozialisten betroffen. Ungleich höher lag diese Zahl bei den ParteifunktionĂ€ren und Angestellten der Parteibetriebe, die neben dem Verlust des Arbeitsplatzes auch EinbuĂen hinsichtlich ihrer Abfertigungen, GehĂ€lter und Pensionen hinnehmen mussten.Bei vielen Verfahren stand der betriebene Aufwand in keinem VerhĂ€ltnis zum tatsĂ€chlichen Wert der Vermögenschaften, da nicht nur WertgegenstĂ€nde sondern schlichtweg alles beschlagnahmt wurde. Dieses ineffiziente Vorgehen zeigt sich auch in Bezug auf die in Anhaltelagern internierten HĂ€ftlinge, die fĂŒr ihren dortigen Aufenthalt einen Pauschbetrag zu erlegen hatten. Die erhobenen Daten weisen eine signifikante Diskrepanz zwischen den vorgeschriebenen Anhaltekosten und den tatsĂ€chlich hereingebrachten Geldern auf.Wenngleich Werte in Millionenhöhe dem Bundesschatz einverleibt werden konnten, reichten die rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen nicht aus, um einen effektiven Ablauf zu garantieren. So stand der kaum ĂŒberschaubare Verwaltungsaufwand oft in keinerlei VerhĂ€ltnis zu dem tatsĂ€chlich liquidierten Vermögen. Die vermögensrelevanten VerfolgungsmaĂnahmen waren somit ein probates Mittel zur völligen Zerschlagung der oppositionellen Parteien, wĂ€hrend der finanzielle Profit dieser Repressionen einen erwĂŒnschten Nebeneffekt darstellte.
- UniversitÀt Wien - 100%
Research Output
- 7 Zitationen
- 14 Publikationen
-
2009
Titel Das 'Adolf-Hitler-Haus' in der Hirschengasse 25, Mariahilf. Typ Book Chapter Autor Kilian Franer Ulli Fuchs (Hrsg.) -
2009
Titel Politisch motivierter Vermögensentzug in Wien 1933-1938. Typ Journal Article Autor Reiter-Zatloukal I Journal juridikum. Zeitschrift fĂŒr Kritik, Recht, Gesellschaft -
2013
Titel Verwaltungs- und justizgeschichtliche. Forschungsdesiderate 1933â1938 DOI 10.7767/boehlau.9783205789581.429 Typ Book Chapter Autor Reiter-Zatloukal I Verlag Brill Osterreich Seiten 429-448 -
2012
Titel Politische Radikalisierung, NS-Terrorismus und 'innere Sicherheit' in Ăsterreich 1933-1938. Strafrecht, Polizei und Justiz als Instrumente des DollfuĂ- Schuschnigg-Regimes. Typ Journal Article Autor Reiter-Zatloukal I Journal Karl HĂRTER/ Beatrice DE GRAF (Hrsg.), Vom MajestĂ€tsverbrechen zum Terrorismus: Politische KriminalitĂ€t, Recht, Justiz und Polizei zwischen FrĂŒher Neuzeit und 20. Jahrhundert (= Studien zur europĂ€ischen Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts fĂŒr europĂ€ische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 68) -
2012
Titel Die DurchfĂŒhrungspraxis des politisch motivierten Vermögensentzugs in Wien 1933â1938 DOI 10.7767/boehlau.9783205792291.77 Typ Book Chapter Autor RothlĂ€nder C Verlag Brill Osterreich Seiten 77-93 -
2012
Titel âEin Leben ohne Freiheit ist kein Lebenâ. Das âAnhaltelagerâ Wöllersdorf 1933â1938 DOI 10.7767/boehlau.9783205792291.94 Typ Book Chapter Autor Schölnberger P Verlag Brill Osterreich Seiten 94-108 -
2012
Titel Repressivpolitik und Vermögenskonfiskation 1933â1938 DOI 10.7767/boehlau.9783205792291.61 Typ Book Chapter Autor Reiter-Zatloukal I Verlag Brill Osterreich Seiten 61-76 -
2010
Titel 'Durchaus ertrĂ€glich'? Alltag im 'Anhaltelager' Wöllersdorf. Typ Journal Article Autor Schölnberger P Journal DĂW-Mitteilungen -
2010
Titel Wöllersdorf - Die AnfĂ€nge. Typ Journal Article Autor Schölnberger P Journal DĂW-Jahrbuch 2010. Wien: DĂW 2010 -
2010
Titel 'Arisierung', Beschlagnahme und Verbleib des Eigentums der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung 1938. Typ Book Chapter Autor Mitchell G. Ash (Hrsg.) -
2010
Titel StaatsbĂŒrgerschaftsentzug und Geschlechterdifferenz. Rechtsgrundlagen und AusbĂŒrgerungspraxis 1933 bis 1938 am Beispiel Wien DOI 10.7767/lhomme.2010.21.2.135 Typ Journal Article Autor Reiter-Zatloukal I Journal L'Homme Seiten 135-154 -
2010
Titel Vermögensbeschlagnahme und Liquidation des Republikanischen Schutzbundes 1933-1937. Typ Journal Article Autor RothlĂ€nder C Journal DĂW-Jahrbuch 2010. -
2011
Titel Denationalisation, Migration und Politik. Zur Praxis des Staatsangehörigkeitsentzugs im 20. Jahrhundert. Typ Journal Article Autor Reiter-Zatloukal Journal migraLex. Zeitschrift fĂŒr Fremden- und Minderheitenrecht -
0
Titel Ăsterreich 1933-1938. InterdisziplinĂ€re AnnĂ€herungen an das DollfuĂ- / Schuschnigg-Regime. Typ Other Autor Reiter-Zatloukal I