Ästhetische Praxis und Kritikfähigkeit: Bildung als Bedingung ästhetischer Erfahrung
Aesthetic Practice and the Critical Faculty: Examining the Educational Conditions of Aesthetic Experience
Wissenschaftsdisziplinen
Erziehungswissenschaften (35%); Philosophie, Ethik, Religion (65%)
Keywords
-
Aesthetic practice,
Aesthetic experience,
Aesthetic education,
Critical agency,
Knowing-How,
Competence-turn
In meinem Forschungsvorhaben interessiere ich mich für die Rolle, die ästhetische Erziehung für die Ausbildung kritischer Wahrnehmungs-, Denk- undHandlungsfähigkeitspielt. Mit phänomenologischem Methodeninventar werde ich in einer konzentrierten qualitativen Studie erheben, wie zehn SchülerInnen mit unterschiedlichem Bildungshintergrund mit ästhetischen Erfahrungssituationen umgehen und was sie aus diesen zu lernen bereit sind. Für die Untersuchung wird die Frage leitend sein, wie die ästhetische Bildungsgeschichte der SchülerInnen zunächst mit ihrer allgemeinen Fähigkeit, ästhetische Erfahrungen überhaupt zu machen und sich auf eine ästhetische Situation einzulassen, ihren ästhetischen Einstellungen und ihrem Verständnis von ästhetischer Tätigkeit und Handlungskompetenz wechselwirkt. Daneben soll erforscht werden, wie die ästhetischen Kompetenzenund Einstellungender SchülerInnen mit derBereitschaft zusammenhängen, eine Situation kritisch wahrzunehmen und zu reflektieren, d.h. die eigene Perspektive auf eine gegebene Situation zu anderen möglichen Standpunkten in Beziehung zu setzen und diese Standpunkte ihrer Möglichkeit nach auch einzunehmen. Aufbauend auf dieser qualitativen Studie, die explorativen und exemplarischen Charakter hat, sowie einer umfassenden philosophischen Auseinandersetzung zielt das Forschungsvorhaben auf die Entwicklung eines differenzierten Verständnisses des kritischen Potentials ästhetischer Praxis, das auf die faktischen pädagogischen Bedingungen ästhetischen Erfahrens Rücksicht nimmt.
Mein Forschungsprojekt widmete sich der Frage, wie und inwiefern sich junge Menschen kritisch mit Bildern auseinandersetzen. Eine der Grundannahmen war, dass ein kritischer Umgang für alle wesentlich ist, gerade in einer Zeit, in der wir mehr und mehr von Bildern eingenommen werden in jenen analogen und digitalen Welten, die wir bewohnen. Mein Interesse an der Durchführung war daher einerseits ein wissenschaftliches, andererseits aber auch ein praktisch-pädagogisches. Letzteres ist verbunden mit dem Auslosten der Möglichkeiten in Erziehung und Bildung, Kritikfähigkeit gezielt zu stärken: Wie können Menschen lernen, sich kritisch zu Bildern zu positionieren? Welche Aspekte der Kritikfähigkeit können gezielt trainiert werden und auf welche Weise? Was sind sie institutionellen, methodischen und inhaltlichen Bedingungen dafür, dass junge Menschen eine kritische Haltung entwickeln können? Bevor ich mehr über diese Möglichkeiten herausfinden konnte, musste zunächst geklärt werden, was kritisch überhaupt bedeuten kann, wenn es um eine Auseinandersetzung mit Bildern geht. Kritikfähigkeit wurde gefasst als ein achtsames, sorgfältiges, differenziertes, beherztes und reflektiertes Herangehen im Anschauen und Besprechen von Bildern, im Arbeiten und körperlichen Umgehen mit Bildern, im Gebrauch von Bildern. So verstanden wurde es möglich, die landläufige Auffassung von Kritik als Handlung einer*s Kritikerin*s als Richter*in aufzulösen, die ihre Vorlieben oder Abneigungen ausdrückt. Vielmehr wurde eine Konzentration auf das tatsächliche und tiefgehende Eingehen auf das Bild hervorgehoben, das über ein vorschnelles Beurteilen hinausgeht. Mein spezifisches Interesse war die Weise, in welcher junge Menschen, sogenannte Digital Natives, die in ihrem Alltag mit zahllosen Bildern konfrontiert sind, mit Bildern umgehen und inwiefern sich hier Momente von Kritikfähigkeit zeigen. Um zu erforschen, in welchen Weisen sich junge Menschen kritisch auf Bilder beziehen, wurden 14-jährige Schüler*innen eingeladen, sich in einer Gruppe von 10 bis 12 Personen in einer Workshop -Situation mit drei Bildern auseinanderzusetzen. Die fünf Workshops wurden tonaufgezeichnet und beobachtet. Ein kritischer Umgang mit Bildern zeigte sich keineswegs auf das Sprechen über und Beurteilen von Bildern beschränkt. Kritikfähigkeit wurde dagegen auch auf körperlicher Ebene ausgedrückt. Im Gegensatz zu körperlichen Äußerungen, zeigten die sprachlichen Äußerungen eine starke Tendenz, von einer Person zur nächsten weitergereicht zu werden. Dieses Weiterreichen, das keine Hinweise auf eine gründliche und tiefgehende Auseinandersetung gibt, zeigt wenig Elemente von Kritikfähigkeit. Entsprechend war ein zentrales Ergebnis des Projekts, dass junge Menschen mehr Möglichkeiten brauchen, (in den Schulen) ihre Kritikfähigkeit auszubilden und zu üben, aber auch dass kritische Auseinandersetzung als mehr als eine bloß sprachlich artikulierte Äußerung angesehen werden muss, nicht nur von Seiten der Schüler*innen, sondern vor allem auch von Seiten der Lehrkräfte.
- Anna Maria Kalcher, Universität Mozarteum Salzburg , assoziierte:r Forschungspartner:in
- Nora Sternfeld, Universität für angewandte Kunst Wien , nationale:r Kooperationspartner:in
- Markus Rieger-Ladich, Eberhard-Karls-Universität Tübingen - Deutschland
- Andreas Cremonini, Universität Basel - Schweiz
Research Output
- 12 Zitationen
- 15 Publikationen
- 2 Disseminationen
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2020
Titel Performing Criticism: (Post)Phenomenological Considerations of Contending Bodies; In: Phenomenology as Performative Exercise DOI 10.1163/9789004420991_010 Typ Book Chapter Verlag BRILL -
2020
Titel Körper Lesen. Über Möglichkeiten und Grenzen einer literarischen Bildung der Körperlichkeit DOI 10.14220/mdge.2020.67.1.52 Typ Journal Article Autor Laner I Journal Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes Seiten 52-60 -
2021
Titel Sehen in Gemeinschaft. Über Wissen und Erkenntnisse im Zuge gemeinschaftlichen ästhetischen Erfahrens. Typ Book Autor Laner I Verlag Hamburg University Press -
2022
Titel The Time of the Chorus DOI 10.1515/9783110720921-004 Typ Book Chapter Autor Laner I Verlag De Gruyter Seiten 39-50 Link Publikation -
2022
Titel Die leere Referenz. Ästhetik und Objektivität der Fotografie im Lichte der digitalen Wende; In: Ästhetik digitaler Medien Typ Book Chapter Autor Laner I Verlag transcript Seiten 57-75 -
2022
Titel Ästhetik; In: Schlüsselbegriffe der Allgemeinen Erziehungswissenschaft. Pädagogisches Vokabular in Bewegung Typ Book Chapter Autor Laner I Verlag Beltz Juventa Seiten 38-46 -
2020
Titel Sprachlose Kritik. Bildende Erfahrung diesseits des Körper-Geist-Dualismus; In: Verkörperte Bildung. Körper und Leib in geschichtlichen und gesellschaftlichen Transformationen Typ Book Chapter Autor Laner I Verlag Beltz Juventa Seiten 183-204 -
2020
Titel (Re-)Constructing Reality. Jeff Wall, Roland Barthes and Jacques Derrida On Postmodern Image Making Typ Journal Article Autor Laner I Journal Art Style / Art & Culture International Magazine Seiten 79-100 -
2020
Titel Reflective interventions: Enactivism and phenomenology on ways of bringing the body into intellectual engagement DOI 10.1007/s11097-020-09673-3 Typ Journal Article Autor Laner I Journal Phenomenology and the Cognitive Sciences Seiten 443-461 Link Publikation -
2019
Titel Kritische Praktiken des Körpers. (Post-)Phänomenologische Überlegungen zur körperlichen Stellungnahme DOI 10.1007/978-3-658-25517-6_8 Typ Book Chapter Autor Laner I Verlag Springer Nature Seiten 139-158 -
2021
Titel French Theory: Poststructuralism and Deconstruction DOI 10.1007/978-3-030-71830-5_41 Typ Book Chapter Autor Laner I Verlag Springer Nature Seiten 671-685 -
2019
Titel Nach dem Fall der Wand. Versteckte pädagogische Vorgänge im post-edukativen Theater DOI 10.1007/978-3-658-21891-1_16 Typ Book Chapter Autor Laner I Verlag Springer Nature Seiten 359-384 -
2018
Titel Ästhetische Bildung zur Einführung Typ Book Autor Laner I Verlag Junius -
2018
Titel Entfremdung und Identifikation. Der Diaprojektor und die Praxis flüchtiger Selbstreflexion DOI 10.30965/9783770561643_006 Typ Book Chapter Autor Laner I Verlag De Gruyter Seiten 58-71 -
2019
Titel Aktuelles Stichwort: Ästhetische Bildung DOI 10.2378/mot2019.art35d Typ Journal Article Autor Laner I Journal motorik