Arbeiten in der Spitzenforschung: Befristungen, Arbeitspensum und Karriereziele
Etwas mehr als die HĂ€lfte der Befragten befindet sich in einem befristeten DienstverhĂ€ltnis, besonders fĂŒr Frauen und generell fĂŒr alle unter 40 Jahren ist eine Befristung eher die Norm als die Ausnahme. LĂ€ngere Laufzeiten bis zu 36 Monaten finden sich bei Ă€lteren Forschenden, kĂŒrzere Befristungen betreffen jĂŒngere Personen. Mit dem Alter steigt unabhĂ€ngig vom Geschlecht das Arbeitspensum an. Knapp die HĂ€lfte ihrer Arbeitszeit widmen die Befragten dem Forschen, gefolgt von Aufgaben in Lehre, Management, Betreuung und der Drittmittelakquise. Wissenschaftler:innen an auĂeruniversitĂ€ren ForschungsstĂ€tten steht im Vergleich zu Kolleg:innen an den UniversitĂ€ten mehr Zeit zum Forschen zur VerfĂŒgung. Der Zeitaufwand fĂŒr die Drittmittelakquise bleibt im Vergleich zu frĂŒheren Umfragen konstant bei etwa 8 Prozent.
WĂ€hrend fast 90 Prozent der Befragten eine unbefristete Stelle im wissenschaftlichen Bereich anstreben, geben sie sich selbst eine relativ ernĂŒchternde Chance von etwa 25 Prozent, diese auch zu erreichen. Dies verdeutlicht die ausbaufĂ€higen Karriereperspektiven im Bereich der Wissenschaft, speziell fĂŒr den Nachwuchs.
VerfĂŒgbarkeit von Drittmitteln erhöht AttraktivitĂ€t des Standorts
Einen entscheidenden Finanzierungsanteil an den ForschungsaktivitĂ€ten in Ăsterreich machen Drittmittel aus. Es gehört zum Alltag der Forschenden, ihr Forschungsbudget vollstĂ€ndig oder zumindest teilweise aus Drittmitteln aufzustellen. Ein Drittel der Stichprobe stellt das eigene Forschungsbudget beinahe zur GĂ€nze aus Drittmitteln auf, im Durchschnitt basieren laut eigener EinschĂ€tzung knapp 65 Prozent des eigenen Forschungsbudgets auf Förderungen. Wichtigste Adresse bei Förderansuchen in der Grundlagenforschung ist naturgemÀà der FWF, dem es daher nicht an Bekanntheit innerhalb der wissenschaftlichen Community mangelt. Von den befragten Wissenschaftler:innen hat die ĂŒberwiegende Mehrheit auch einen Förderantrag beim FWF gestellt â je weiter die Karriere fortgeschritten, desto breiter das Spektrum von Förderorganisationen auf nationaler und europĂ€ischer Ebene.
Nachfrage weitaus höher als Angebot
Antragsaufwand und potenzieller Ertrag werden von den Befragten im Hinblick auf unterschiedliche Fördergeber auch unterschiedlich eingeschĂ€tzt. AntrĂ€ge auf europĂ€ischer Ebene werden als aufwendig im Vergleich zum möglichen Ertrag eingestuft. FĂŒr den FWF fĂ€llt das Ergebnis etwas gemĂ€Ăigter, aber auch zweischneidig aus: Die HĂ€lfte der Befragten findet den Aufwand eher hoch oder sehr hoch. Diese EinschĂ€tzung dĂŒrfte auch mit den hohen Ablehnungsquoten aufgrund der zu geringen finanziellen Ausstattung des FWF zusammenhĂ€ngen.
Nachwuchs hadert mit unsicheren Karriereaussichten
Der wissenschaftliche Nachwuchs kÀmpft in erster Linie mit dem Problem unsicherer Karriereperspektiven. Acht von zehn Postdocs aus allen wissenschaftlichen Disziplinen haben Zweifel an den Karriereaussichten im akademischen Umfeld. ErgÀnzend dazu werden lange Qualifizierungen, nicht wettbewerbsfÀhige Einkommensmöglichkeiten und hierarchische Strukturen, die die SelbststÀndigkeit beeintrÀchtigen, als kritische Karrierefaktoren genannt.
Ein klares Ist-Soll-Gap gibt es fĂŒr die Kriterien der Leistungsbeurteilung. Wissenschaftliche Publikationen sind aktuell das Kriterium, das laut den meisten Befragten ausschlaggebend ist. Das ist auch so gewĂŒnscht und soll sich nicht Ă€ndern. Andere aktuell ausschlaggebende Kriterien sind laut EinschĂ€tzung der Befragten bereits erfolgreich eingeworbene Drittmittel und interne Netzwerke. Diese aber, so der Tenor der Umfrage, sollen an Bedeutung verlieren. Im Vergleich zur Ist-Situation sollten dafĂŒr Lehre, Wissenschaftskommunikation und gesellschaftliche Relevanz fĂŒr die Leistungsbeurteilung eine gröĂere Rolle spielen.
Die Rolle von Vorgesetzten und Mentor:innen werden vornehmlich positiv gesehen. Der wissenschaftliche Nachwuchs wird hinsichtlich UnabhĂ€ngigkeit gefördert und es besteht Offenheit und Entgegenkommen, dass jĂŒngere Forscher:innen eine eigenes wissenschaftliches Profil entwickeln können. Etwas weniger gut schneiden Vorgesetzte einzig bei der UnterstĂŒtzung einer langfristigen Karriereplanung ab.
Ungewisse Karriereentwicklung als bleibender Unsicherheitsfaktor
Rund zwei Drittel der Wissenschaftler:innen sind mit ihrem Job (sehr) zufrieden. Aspekte, die kritischer gesehen werden, sind die berufliche Position, die LehrtĂ€tigkeit und besonders die Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben, wobei Letzteres von Frauen jeder Altersstufe kritischer gesehen wird. Obwohl die Gesamtzufriedenheit mit der beruflichen Situation respektabel ausfĂ€llt, hat die HĂ€lfte der Wissenschaftler:innen in letzter Zeit ĂŒberlegt, den akademischen Bereich zu verlassen. Ăberproportional stark sind diese Gedanken bei Personen in den Zwanzigern und DreiĂigern ihres Lebens. DafĂŒr zeichnen sich unabhĂ€ngig vom Geschlecht drei entscheidende Faktoren ab: die Themen âzeitliche Befristung der Stelleâ und âKettenvertragsproblematikâ, die in allen Altersgruppen auftauchen, aber bis Ende 30 noch unbefriedigender sind, sowie die âungewisse Karriereentwicklungâ, die zwischen 30 und 49 Jahren fĂŒr Zweifel sorgt.
Erfahrungen mit Diskriminierung und wissenschaftlicher IntegritÀt
Jede vierte befragte Person hat laut eigener Angabe Diskriminierung am Arbeitsplatz (Geschlecht, ethnische Herkunft, Alter) selbst erlebt oder bei anderen beobachtet, Frauen sind hĂ€ufiger von Diskriminierung betroffen. Hinsichtlich der wissenschaftlichen IntegritĂ€t hat mehr als die HĂ€lfte der Befragten kritische Beobachtungen gemacht, speziell Probleme rund um die Autor:innenschaft werden hier angefĂŒhrt.
Blick auf das Wissenschaftssystem: ReformwĂŒnsche und StĂ€rkefelder
Die Spectra-Umfrage zeigt, wo der Schuh drĂŒckt und wo aus Sicht der Forschenden Reformbedarf im Wissenschaftssystem besteht: Die mit Abstand wichtigsten Themen, die breite UnterstĂŒtzung finden, sind der Ausbau unbefristeter Stellen unterhalb der Professur, der Ausbau von Open Science und umfangreichere Möglichkeiten zur Freistellung fĂŒr Forschung sowie die Implementierung von flacheren Hierarchien. Bei den StĂ€rken des österreichischen Wissenschaftssystems rangieren Autonomie und Forschungsfreiheit ganz vorne (75 Prozent sehr gut oder gut). Auch gut, aber etwas weniger positiv werden die gesellschaftliche Relevanz der Forschung, die LeistungsfĂ€higkeit im internationalen Vergleich und die InnovationsfĂ€higkeit bewertet. Am kritischsten wird die geringe WertschĂ€tzung durch die Gesellschaft gesehen.
Positives Feedback fĂŒr Förderabwicklung und BeratungsqualitĂ€t des FWF
Die QualitĂ€t der Informationen, Richtlinien und Beratung im Zuge der Einreichung eines Förderantrags wird von der ĂŒberwiegenden Mehrheit der Befragten sehr positiv beurteilt. Verbesserungspotenzial gibt es bei der Nachvollziehbarkeit der Ablehnungen, speziell auch angesichts der geringen Bewilligungsquoten â ein Thema, das der FWF stĂ€rker in den Fokus nehmen wird. Die Mehrzahl der Befragten empfindet die Bearbeitung unbĂŒrokratisch sowie die Begutachtungs- und Entscheidungsverfahren transparent.
Ăsterreichs gröĂte Studie unter Forschenden
Die Studie âBefragung der wissenschaftlichen Community 2025â wurde im Mai und Juni 2025 von der Spectra Marktforschungsgesellschaft mbH im Auftrag des Ăsterreichischen Wissenschaftsfonds FWF nach einer wettbewerblichen Ausschreibung durchgefĂŒhrt. Die Ergebnisse beruhen auf einer umfangreichen Befragung innerhalb der wissenschaftlichen Community in Ăsterreich â rund 20.000 Forschende, die potenziell beim FWF antragsberechtigt sind â, wovon 3.368 Wissenschaftler:innen teilgenommen haben. Hauptstudienautor ist Thomas Wolfschluckner, Senior Research Director bei der Spectra Marktforschungsgesellschaft mbH.