Lorika-bildendes Material in Tintinnen (Ciliophora)

Tintinnen sind Einzeller aus der Gruppe der Wimpertiere (Ciliaten). Sie besiedeln alle Weltmeere und spielen eine große Rolle in den planktischen Nahrungsnetzen. Ihre ca. 1000 Arten bilden unterschiedlichste vasen-förmige Gehäuse, die eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit sogar gegen stärkste Säuren und Laugen zeigen und sich damit bislang chemischen Analysen entzogen haben. Das Material ist daher ausgesprochen interessant und sein Schicksal im Nährstoffkreislauf der Meere unbekannt. Die Tintinnen-Zelle ist am Boden ihres Gehäuses mit einem Stielchen festgeheftet und vermehrt sich durch Zellteilungen. Während jeder Zellteilung reichert die vordere Mutterzelle Material zur Gehäusebildung in Form winziger Granula an und gibt sie nach außen ab, während die hintere Tochterzelle im alten Gehäuse angeheftet bleibt. Vorläufige Daten weisen auf proteinhaltiges Gehäuse-Material und Unterschiede im Bildungsprozess hin. Experten auf dem Gebiet der Wimpertier-Forschung am Fachbereich Umwelt & Biodiversität der Paris Lodron Universität Salzburg (Sabine Agatha und Maximilian Ganser) untersuchen die Produktion des Gehäusematerials und die darin involvierten Gene durch eine innovative Kombination modernster Methoden in einem multidisziplinären Forschungsansatz. Licht und konfokale Laserscanning-Mikroskopie werden eine Einschätzung der Produktionsraten und der Mengen gehäusebildenden Materials in verschiedenen Stadien der Zellteilung erlauben. Die Transmissionselektronenmikroskopie dient der Untersuchung ultrastruktureller Charakteristika und Unterschiede in den gehäusebildenden Granula. Bei der Herstellung des Gehäusematerials werden kernkodierte Gene in Messenger-RNA (mRNA) transkribiert und in Proteine translatiert. Die Analysen der verschiedenen mRNAs, die in einzelnen Tintinnen-Zellen während der Teilungszyklen transkribiert werden (Transkriptom), liefern einen ersten Überblick über alle stark exprimierten Gene bei Tintinnen. Anschließend werden durch einen Vergleich mit gehäuselosen Verwandten der Tintinnen für den Gehäusebau potenziell relevante Gene detektiert. Damit liefert das Forschungsprojekt nicht nur neue Daten über Tintinnen und ihre gehäuselosen Verwandten, sondern vertieft die Kenntnisse über neue entdeckte Gene und deren Funktionsweise in dieser wichtigen Gruppe planktischer Einzeller. Damit wird das Geheimnis um die extrem widerstandsfähigen Tintinnen-Gehäuse, das Forscher*innen seit etwa 140 Jahren beschäftigt, weiter gelüftet.