Negative-Emissionen-Technologien in der EU-Klimapolitik

In den meisten Szenarien zur Abschwächung des Klimawandels und Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5C oder 2C spielen Technologien zur Abscheidung von CO2 aus der Atmosphäre (carbon dioxide removal technologies, CDR) eine wichtige Rolle. Dementsprechend hat die Europäische Kommission CDR in ihre langfristige Klimastrategie aufgenommen. Viele Autoren haben jedoch die Befürchtung geäußert, dass die Erwartung einer zukünftigen großtechnischen Verfügbarkeit von CDR die Emissionsminderung verzögern oder ersetzen, oder sogar die kostspielige und politisch schwierige Dekarbonisierung aufschieben könnte. Eine solche mögliche Verzögerung oder Substitution stellt ein erhebliches Problem dar. Denn nach wie vor bestehen große Unsicherheiten darüber, ob die Entfernung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre durch CDR Emissionsreduktionen angemessen ersetzen kann und ob die Bereitstellung von CDR in großem Umfang möglich ist. In der sozialwissenschaftlichen Literatur zu CDR, die sich sowohl auf die politische Ökonomie als auch auf die Wissenschafts- und Technikforschung stützt, wurden mögliche Verzögerungseffekte von klassischen Emissionsminderungsmaßnahmen hervorgehoben. Eine Untersuchung ob und wie Verzögerungseffekte aufgrund von CDR in klimapolitischen Entscheidungsprozessen tatsächlich stattfinden, steht bisher noch aus. Das Ziel des Projekts ist es, zu untersuchen, ob und wie die Erwartung einer zukünftigen großflächigen Verfügbarkeit von CDR ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen in der EU-Klimapolitik verhindert. Der Fokus liegt auf die soziotechnischen Vorstellungen, institutionellen Rahmenbedingungen, Akteure und Strategien, die die Integration von CDR in die EU-Klimapolitik geprägt haben. Darüber hinaus sollen mögliche Anzeichen und Mechanismen von Verzögerungseffekte innerhalb der EU-Klimapolitik untersucht werden. Die politische Analyse konzentriert sich auf die langfristige Klimastrategie und das Klimagesetz der EU, die Überarbeitung der Effort-Sharing-Verordnung und des EU-Emissionshandelssystems, die Strategie der Europäischen Kommission für einen nachhaltigen Kohlenstoffkreislauf und die EU-Zertifizierung für Kohlenstoffabbau. Das qualitative Forschungsdesign stützt sich in erster Linie auf eine qualitative Dokumentenanalyse und Experteninterviews. Dabei wird systematisch nachgezeichnet, wie die Berücksichtigung und Integration von CDR die Formulierung und Verhandlung von Emissionsminderungszielen und die Auswahl von politischen Gestaltungsoptionen zu deren Erreichung beeinflusst haben könnte. Die Forschungsergebnisse sollen wichtige neue Erkenntnisse über die Formulierung von Klimapolitiken liefern, die in die entstehende Debatte über Climate Engineering und die Verhinderung von Verzögerungseffekten einfließen werden. Die Ergebnisse sind für die Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung relevant, die sich bisher noch nicht mit dem Potenzial von CDR befasst hat, Minderungsambitionen zu untergraben und dadurch die dringend notwendige gesellschaftliche Transformation zu verzögern.