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Vermögen als Konstituierungsmedium von Verwandschaftsräumen

The Role of Wealth in Defining and Constituting Kinship Spaces

Margareth Lanzinger (ORCID: 0000-0001-5092-4234)
  • Grant-DOI 10.55776/P29394
  • Förderprogramm Einzelprojekte
  • Status beendet
  • Projektbeginn 01.09.2016
  • Projektende 29.02.2020
  • Bewilligungssumme 391.671 €
  • Projekt-Website

Wissenschaftsdisziplinen

Andere Geisteswissenschaften (50%); Soziologie (50%)

Keywords

    Wealth, Kinship, Marriage, Inheritance, Competition, Material Culture

Abstract Endbericht

Um die Logiken frühneuzeitlicher Vermögenstransfers zu verstehen, ist es notwendig, die unter- schiedlichen Formen zu untersuchen, in denen diese erfolgt sind. Heirat und Vererbung spielten da- bei eine zentrale Rolle. Damit rücken eheliche Güterregime, Erbrecht und Erbpraxis in den Fokus. Doch nicht weniger bedeutsam für die Ausgestaltung von Vermögenstransfers in der Praxis waren verwandtschaftliche Beziehungen. Aus Sicht der Historischen Verwandtschaftsforschung lassen sich Konfliktachsen und Interessenskonkurrenzen, die dabei zum Tragen kamen, identifizieren und analy- sieren. Der Art des Vermögens und der Ansprüche darauf kam ebenfalls Relevanz zu, wenn es um das Aushandeln oder Schlichten ging. Das Projekt verfolgt zwei Zugänge, um rechtliche, soziale, ökonomische und verwandtschaftliche Aspekte in Beziehung zueinander zu setzen. Erstens wird Verwandtschaft im Sinne sozialer Räume gefasst, die über Kommunikation und Interaktion, über Prozesse des Aushandelns, über Erinnerung, aber auch über Konkurrenz und Konflikt hergestellt werden. Auf welche Art und Weise dies erfolgte, ist die Kernfrage des Projekts. Zweitens dienen Konzepte der materiellen Kulturforschung dazu, die unterschiedlichen Vermögenssorten, die verhandelt wurden, in ihrer Spezifik zu erfassen. Die Ver- knüpfung dieser beiden Zugänge unter Einbeziehung rechtlicher und geschlechtsspezifischer Per- spektiven erlaubt es, Vermögenstransfers und -arrangements hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen, generationalen und geschlechtsspezifischen Implikationen zu analysieren. Wie wurden Erbansprüche ausgehandelt? Wer war involviert und hatte welche Einflussmöglichkeit? Worin bestand das zu trans- ferierende Vermögen und welchen Unterschied machte dies? Welche Bedeutung kam beweglichen Gütern zu, und wer konnte Anspruch auf immobilen Besitz erheben? Welche diesbezüglichen Ver- einbarungen wurden bei der Heirat getroffen, welche im späteren Lebensverlauf? Auf welche Weise strukturierte dies Geschlechterbeziehungen und Verwandtschaftsräume? Lassen sich markante Ver- änderungen im Laufe der Zeit ausmachen? Das ideale Laboratorium für die Umsetzung dieser Fragestellungen und Hypothesen ist der Raum des südlichen Tirol einschließlich des heutigen Trentino: Denn hier trafen romanisch und germanisch geprägte Rechtskulturen zusammen und überlagerten sich. Dieses Territorium ist besonders reich an vermögensrelevanten Quellenbeständen (Notariasakten, Verfachbücher). Rechtskodifikationen da- tieren aus dem 16. Jahrhundert und hatten auch schon Vorläufer. Die systematisch ausgewählten und erfassten Dokumente werden sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgewertet. Der innova- tive Impuls des Projekts besteht in der Verknüpfung von Verwandtschaft, Heiratsgütern, Erbe und materieller Kultur. Vermögen ist dabei als zentrales Medium konzipiert, über das Verwandtschafts- räume hergestellt und auch strukturiert wurden.

Vermögen als Medium der Herstellung von Verwandtschaftsräumen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert Das Projekt ist von der Annahme ausgegangen, dass ein beträchtlicher Teil des Vermögens in europäischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit hauptsächlich auf zwei Wegen weitergegeben wurde: über Heirat und Vererbung. Was das Erbrecht in den verschiedenen Regionen vorsah und wer welche Ansprüche auf ein Erbe hatte, war eng mit Vorstellungen von Verwandtschaft und Ehe verknüpft. Wie sich im Zuge unserer Forschungen herausgestellt hat, waren dabei immer auch wirkmächtige Achsen der Konkurrenz im Spiel. Ein wichtiges Ergebnis des Forschungsprojekts ist, dass die Handlungsoptionen von Männern und Frauen und was sie wie in die Praxis umsetzen konnten, nicht nur vom Erbrecht und der gängigen Erbpraxis abhingen, sondern ganz wesentlich auch vom jeweils vorherrschenden Ehegüterrecht - in unserem Fall handelte es sich vornehmlich um eheliche Gütertrennung - beziehungsweise vom jeweiligen Zusammenspiel von Erbpraxis und Ehegüterregimen. Die Hypothese, dass Vermögen als ein grundlegendes Medium fungiert hat, über das Verwandtschaftsräume definiert und konstruiert wurden, war der Ausgangspunkt des Projekts. Verwandtschaftsräume werden in diesem Zusammenhang als soziale Räume gefasst, die über Kommunikation und Interaktion, über Aushandlungsprozesse, Konkurrenz und Konflikte hergestellt werden und zugleich strukturiert sind. In der Frage, auf welche Weise Verwandtschaft durch Vermögen modelliert und gestärkt wurde, konnten wir unterschiedlich rechtliche Instrumentarien herausarbeiten. Dazu zählt unter anderem eine gewisse Bevorzugung von Söhnen in der Erbpraxis gegenüber Töchtern, eine eingeschränkte Testierfreiheit zugunsten von Ehepartner*innen, das Verbot von größeren Geschenken unter Eheleuten oder auch ein Rückkaufrecht von Liegenschaften unter Verwandten. Eine starke Position von Verwandten bedeutete im Umkehrschluss eine schwächere Position von Ehepartner*innen, aber - je nach Kontext - auch von 'Fremden'. In Hinblick auf die Vermögenstransfers und Vermögensarrangements haben wir Unterschiede zwischen dem städtischen und dem ländlichen Raum, in verschiedenen sozialen Milieus und zwischen den Geschlechtern, aber auch durch den behandelten Zeitraum hindurch feststellen können. Das südliche Tirol hat für unsere Untersuchung das ideale Laboratorium geboten. Dies ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass wir ebenso umfangreiches wie inhaltlich ergiebiges Archivmaterial auswerten konnten. In unserem thematischen Zusammenhang waren Verträge, Testamente und Verlassenschaftsabhandlungen neben vielfältigem Kontextmaterial von besonderem Interesse. Ein besonderer und im Ergebnis sehr produktiver Zugang unseres Projekts bestand in der breiten Definition von Vermögen. Dieses umfasst nicht nur Grund und Boden und Geld, sondern auch rechtliche Ansprüche, die sich daraus ableiteten, ebenso wie Dinge des Alltags oder Objekte, die als Wertspeicher dienten oder mit symbolischer Bedeutung aufgeladen waren. Dieser Zugang hat nach Settings und Konstellationen sehr differenzierte Ergebnisse hinsichtlich des Zugangs zu Vermögen und des Produzierens von Ungleichheit ermöglicht. Das Projekt ist in der Historischen Verwandtschaftsforschung, der Geschlechtergeschichte, der Materiellen Kulturforschung, der Konsumgeschichte, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und in der Geschichte der sozialen Praxis des Rechts verankert.

Forschungsstätte(n)
  • Universität Wien - 100%
Internationale Projektbeteiligte
  • Anna Bellavitis, Universite de Rouen - Frankreich
  • Siglinde Clementi, Südtiroler Landesmuseen - Italien
  • Raffaella Sarti, Universita degli Studi di Urbino - Italien
  • Joachim Eibach, University of Bern - Schweiz
  • Simon Teuscher, University of Zurich - Schweiz
  • Amy Louise Erickson, University of Cambridge - Vereinigtes Königreich

Research Output

  • 10 Zitationen
  • 17 Publikationen
Publikationen
  • 2016
    Titel Konkurrenz um Vermögen im südlichen Tirol des 16. Jahrhunderts
    DOI 10.14220/lhom.2016.27.1.15
    Typ Journal Article
    Autor Lanzinger M
    Journal L'Homme
    Seiten 15-32
  • 2017
    Titel Housing Capital, Resource and Representation
    DOI 10.1515/9783110532241
    Typ Book
    Verlag De Gruyter
    Link Publikation
  • 2017
    Titel special issue: "Verträge", Historische Anthropologie 25, 2 (2017)
    Typ Other
    Autor Landsteiner
  • 2017
    Titel Margareth and Janine , Houses and the Range of Wealth in Early Modern Gender- and Intergenerational Relationships
    Typ Journal Article
    Autor Lanzinger M.
    Journal Jahrbuch für Europäische Geschichte / European History Yearbook
    Seiten 14-34
    Link Publikation
  • 2017
    Titel Vermögen als Medium der Herstellung von Verwandtschaftsräumen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert - ein Projektbericht mit Objektperspektive 202-208.
    Typ Journal Article
    Autor Lanzinger M.
    Journal Frühneuzeitinfo
  • 2017
    Titel Witwenrechte im Litauen des 16. Jahrhunderts. Rezensionsessay aus Tiroler Vergleichsperspektive
    Typ Journal Article
    Autor Lanzinger M.
    Journal Geschichte und Region/Storia e regione
    Seiten 144-152
  • 2017
    Titel special issue: "Housing Capital. Resource and Representation", Jahrbuch für Europäische Geschichte / European History Yearbook (2017).
    Typ Other
    Autor Derix S.
    Link Publikation
  • 2017
    Titel Verträge als Instrumente der Vermögensabsicherung im südlichen Tirol vom 14. bis zum 18. Jahrhundert
    DOI 10.7788/ha-2017-0204
    Typ Journal Article
    Autor Hagen C
    Journal Historische Anthropologie
    Seiten 188-212
  • 2021
    Titel Financing transfers: buying, exchanging and inheriting properties in early modern southern Tyrol
    DOI 10.1080/1081602x.2021.1955724
    Typ Journal Article
    Autor Maegraith J
    Journal The History of the Family
    Seiten 11-36
    Link Publikation
  • 2019
    Titel Gerechtigkeit und Erbgänge - ein historisch-anthropologischer Blick auf Testamente und Vermögen; In: Geschichte und Gerechtigkeit. Festschrift für Hubert Christian Ehalt
    Typ Book Chapter
    Autor Lanzinger M.
    Seiten 152-157
  • 2019
    Titel Geld und Güter, Transfers und Arrangements. Vermögen und Geschlecht in der Frühen Neuzeit
    Typ Journal Article
    Autor Lanzinger M.
    Journal Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
    Seiten 605-622
  • 2022
    Titel Equal but not identical. Modes of partible inheritance in early-modern Schlanders (South Tyrol) and medieval Lambach (Upper Austria) compared
    DOI 10.1080/1081602x.2022.2026802
    Typ Journal Article
    Autor Kaska J
    Journal The History of the Family
    Seiten 100-124
    Link Publikation
  • 2018
    Titel Competing Interests in Death-related Stipulations in South Tirol ca. 1350-1600.; In: Planning for Death: Wills, Inheritance and Property Strategies in Medieval and Reformation Europe
    Typ Book Chapter
    Autor Hagen Ch.
    Seiten 88-118
  • 2018
    Titel (Ver-)Erben aus historisch-anthropologischer und Geschlechterperspektive; In: Erbe_n. Macht. Emotion. Gedächtnis
    Typ Book Chapter
    Autor Lanzinger M.
    Seiten 101-115
  • 2018
    Titel Special Issue "Vermögen und Verwandtschaft / Parentela e patrimonio", Geschichte und Region / Storia e regione 27, 2 (2018)
    Typ Other
    Autor Clementi S.
    Link Publikation
  • 2020
    Titel "Landlessness". Reviewing the early modern property structure in southern Tyrol
    Typ Journal Article
    Autor Maegraith J.
    Journal Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie
    Seiten 19-37
  • 2020
    Titel Special issue "Landlos", Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 68, 1 (2020).
    Typ Other
    Autor Lanzinger M.

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